vorlauf : Der Coup mit dem Grauen
„Die Abzocker aus dem World Trade Center“ (23.00 Uhr, ARD)
Die Tragödie des 11. September 2001 hat viele Aspekte und Opfer. Zu ihnen gehört auch Gerry Cahill, obwohl der gebürtige Ire den Anschlag auf das World Trade Center überlebt und keine Angehörigen verloren hat. Psychisch dagegen wirkt der heute 60-Jährige gebrochen, hat er doch an jenem Tag seine gesamte Alterssicherung verloren und muss sich noch einmal einen Job suchen. „Es war die Gier“, stellt er rückblickend fest, wenn er am Ground Zero steht. Denn wie andere Anleger hat er sich von den Aussichten auf eine solide Rendite im Devisenhandel anlocken lassen.
Was Gerry und seine späteren Leidengenossen nicht ahnten, war die beträchtliche kriminelle Energie der Strippenzieher der ehrenwerten Firma im WTC. Denn Andrei Koudachev und Gary Faberov hatten ihr Unternehmen mit angegliederter Bank an den Prinzipien des Pyramidenspiels orientiert. Um das Geschäft laufen zu lassen und die Anleger auf Dauer ruhig zu stellen, musste permanent neues Kapital von Kunden akquiriert werden. Dafür heuerte das Duo eine multikulturelle Truppe an, die rund um die Uhr frisches Kapital von solventen Interessenten aus dem In- und Ausland zu beschaffen hatte. Das Attentat auf die Zwillingstürme nutzten die Chefs, um sich mit rund 108 Millionen Dollar aus dem Staub zu machen. Während sich Faberov später dem FBI als Kronzeuge andiente, arbeitet Koudachev nun in Moskau … Dramaturgisch konsequent hat Michael Wech nach der Idee von Produzent Stephan Lamby („Das große Schauspiel“) „Die Abzocker aus dem World Trade Center“ als veritablen Wirtschaftskrimi rekonstruiert. Seine Dokumentation überzeugt nicht zuletzt, weil sie neben einer authentischen, gut recherchierten Story und prägnanten Betroffenen vor der Kamera alles hat, was ein ergreifendes Schurkenstück unserer Tage auszeichnet: skrupellose Bösewichter, die das Ensetzen zum großen Coup nutzen, ausgeplünderte Anleger und windige Berater, die Opfer ihrer eigenen Gier werden – und schließlich sogar einen dicken Detektiv. Dass es bei dieser Geschichte aus dem wahren Leben nur für Einzelne ein Happy End geben kann, versteht sich von selbst. RAINER BRAUN