vorlauf: Lieben und Lieben lassen
„Liebesgeschichten“
(22.50 Uhr, Arte)
Der russische Dokumentarfilmer Victor Kossakovsky hat an seinen „Liebesgeschichten“ drei Jahre lang gearbeitet und drei grundverschiedene Episoden gedreht.
Den Auftakt zu dem Liebesreigen bildet die brillante „Jerusalemer Romanze“: Pavel und Ljalja, die einst in Russland Kossakovsky in Regie unterrichtet hatten, wollten in Israel alt werden. Pavel ist kurz nach der Einwanderung schwer krank geworden und muss nun von seiner Frau Ljalja gepflegt werden. Kossakovsky setzt hier ganz auf die Dramatik des Schwarzweißbildes; viele Szenen wurden im Halbdunkel von Pavel und Ljaljas Wohnung gedreht. Auf den Wänden geben die das Haus umgebenden Bäume lange, expressive Schatten, die sich im Rhythmus des Winds bewegen.
Eine existenzielle Unruhe geht von diesen Bildern aus. Wenn Ljalja über das schwere Schicksal ihres Manns spricht, das untrennbar mit dem ihren verbunden ist, und zu weinen beginnt, lässt die Kamera langsam und voller Respekt von ihr ab und widmet sich den schwankenden Schatten an der Wand.
Ganz anders dagegen die „Provinzromanze“: Mit leuchtenden Farben und scharfer Optik seziert Kossakovsky das Hochzeitsritual in der russischen Provinz. Sergej und Natascha sind gerade einmal 20 und feiern ihre Vermählung zusammen mit Familie und Freunden. Die Atmosphäre ist steif und verkrampft. Lautstark fordert die Gesellschaft von dem Paar einen Kuss nach dem anderen. Die Trinksprüche, feierlich vorgetragen, ähneln einander fast haargenau. Am Ende packt das Paar, das ohne zu Murren alles über sich hat ergehen lassen, die Geschenke aus: Eine Vase nach der anderen kommt zum Vorschein. Die letzte Episode ist die längste und auch die ungewöhnlichste. Kossakovsky hat in Petersburg mit einer Digitalkamera die Kinderliebe zwischen Katja und Sascha beobachtet. „Kindergarten – erste Romanze“ hat Längen, doch es lohnt sich bis zum Ende abzuwarten, wenn die Kinder erstaunlich erwachsene Dialoge führen: Sascha, der den Kindergarten verlässt und in die Schule kommt, verabschiedet sich von Katja: „Schön, dass wir uns gekannt haben.“
LASSE OLE HEMPEL
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