vorlauf: „Zweimal in der Woche Bridge“
„Das Gefängnis. Landsberg und die Entstehung der Republik“ (23.00 Uhr, WDR)
Landsberg, eine knappe Autostunde von München entfernt, nennt sich stolz „Große Kreisstadt“. Zu den Attraktionen des überschaubaren Städtchens gehören das ADAC-Technikzentrum – und ein Gefängnis.
1924 saß hier Hitler nach vereiteltem Putsch ein und diktierte seinem Adlatus Hess „Mein Kampf“ in die Schreibmaschine. So steht’s in jedem Geschichtsbuch. Daran, dass die Musterhaftanstalt Landsberg auch das War Criminals Prison No. 1 der amerikanischen Besatzungszone war, erinnert nun endlich Lutz Hachmeisters Dokumentation. Und wartet mit einer so kühnen wie plausiblen These auf: Hier, im Landsberger Gefängnis, habe die nach den Nürnberger und Dachauer Kriegsverbrecherprozessen einsitzende eigentümliche Melange aus hohen und höchsten SS- und Parteiführern, Industriemagnaten und Funktionären jene Kontakte geknüpft und Grundlagen gelegt, die sie nach den weitreichenden Amnestien Anfang der 50er-Jahre nahtlos in die Führungspositionen der jungen BRD aufsteigen ließen.
Alfred Krupp und Friedrich Flick saßen hier ein genauso wie Hitlers Finanzminister Schwerin von Krosigk, dessen Briefe den außergewöhnlichen Haftalltag schildern: Da reichen „die Abendstunden kaum aus zum Schreiben und Zeitungen und Bücher lesen, und zweimal in der Woche Bridge“. Als mit Verschärfung des Ost-West-Konflikts ab 1948 die deutsche Industrie wieder gebraucht wurde, durften die hohen Herren sogar ihre Direktoriumssitzungen in die Haftanstalt verlegen.
Doch neben den altneuen Eliten warteten in Landsberg auch zahlreiche SS-Führer – auf den Galgen. Weil ihnen Rechtsmittel nach US-Gesetzen offenstanden, wurden die letzten Todesurteile erst 1951 vollstreckt. 4.000 Menschen demonstrierten damals für die „Landsberger“, noch heute sprechen einige Lokalpatrioten von „politischen Gefangenen“.
Die Stoßrichtung des einiges an Hintergrundwissen voraussetzenden Films ist dabei so hart wie differenziert: Die Landsberger sollten etwas bewerkstelligen, was eine ganze Nation nicht bewerkstelligt hat, heißt es im Kommentar. STG
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