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von disco zu discoDJ auf heikler Mission: Hochzeiten und andere Fallen

Ring my Wedding Bells

„Kann man dich für Privataffären buchen?“, fragte mich vor einigen Monaten eine sympathische junge Italoamerikanerin, als ich in Köln auflegte.

„Was meinst du mit Privataffären?“, fragte ich errötend. „Ich meine Hochzeiten. Könnten ich und mein Freund dich für unsere Hochzeit buchen? In Amsterdam?“ Erleichtert antwortete ich: „Hochzeiten sind schwierig. Ich habe gar keine typische Hochzeitsmusik und …“ „ … das ist genau, was wir wollen. Bloß keinen Walzer, unsere Verwandten hören fast nur HipHop und Disco. So den Stil, den du gerade so spielst.“

Also gut. Obwohl ich weiß, dass in der realen Dynamik eines Hochzeitstages alles ganz anders aussehen kann, sagte ich neugierig zu. Das war bestimmt interessant und witzig. Eine amerikanisch-holländische Großhochzeit im Grand Palace. Eine King Suite im Krasnopolsky. Im lieblichen Amsterdam. Am vergangenen Wochenende war es dann so weit. Aber hatte ich alles eingepackt? Entscheidende Hochzeitsfragen hatte ich schließlich monatelang vertagt: Welches Lied wird der erste Tanz? Wozu tanzt die Braut mit ihrem Vater? Wozu der Bräutigam mit seiner Mutter? Es war wie verhext: Wochenlang fielen mir nur großartige Trennungsballaden ein. Schließlich dachte ich, mit „Time“ von Culture Club das Richtige gefunden zu haben. Doch die Braut war skeptisch: Hatte Boy George damit nicht das Ende seiner Beziehung zu seinem Schlagzeuger verarbeitet?

Am Tag vor der Abreise schlug ich schließlich im Internet nach, Suchbegriff: Wedding Dance Hits. Eine rosa schnörkelige US-Seite tat sich auf: Weddingtips.com, mit den 500 beliebtesten First-Dances aller Zeiten (das meiste davon Country) sowie dutzende Vorschläge für alle nur denkbaren Kategorien: Musik für den Brautstraußwurf, Musik zur Buffetbegleitung. Letzte Tänze. Spät in der Nacht vor der Hochzeit zurrten wir das Musikpaket am Telefon schließlich fest.

Dann die Feier: Im Prinsenhof-Flügel des Amsterdam Grand hat neben verschiedenen Mitgliedern des Königshauses angeblich auch Johann Cruyff geheiratet, wie die ebenfalls gebuchte Fotografin erläutert. Das kann man zu Hause erzählen, denke ich beeindruckt. Als zum Buffet gerufen wird, beginnt mein Einsatz: loungige Latinmusik von CD, knapp an der Wahrnehmungsgrenze. Ich esse auch eine Kleinigkeit. Nicht zu viel, sonst schlafft man ab, wenn man doch für Stimmung sorgen soll.

Als das Brautpaar das Parkett betritt – etwas peinlich berührt, aber doch ergriffen –, fließen erste Tränen: „Why do stars suddenly appear / everytime you are near …“ „Close To You“ von den Carpenters ist eine goldrichtige Wahl, und nicht zuletzt gnädig kurz. Ganz anders als „Isn’t She Lovely“ von Stevie Wonder, laut „Weddingtips“ ein Vater/Tochter-Klassiker (neben „My Girl“ von den Temptations), der in meiner endlosen Maxi-Version über ein langes, lärmiges Intro mit Babygeschrei verfügt, zu dem man einfach nur dastehen kann. Das hatte ich ganz vergessen. Dafür blende ich nach dem zweiten Chorus aus: Diese ersten drei Tänze sind ohnehin eher eine Geste, man muss nicht wirklich dem Song huldigen. Zumal Mutter und Sohn schon parat stehen für „In My Life“ von den Beatles, auch dies ein Vorschlag aus dem Netz. Finde ich in diesem Moment fürchterlich rührend, vielleicht mehr als das Paar auf der Tanzfläche. Die rüstige Mutter wird später am Abend dann hauptsächlich zu HipHop grooven. Hochzeitstänze sind schon ein heikles Ritual in der heutigen Zeit.

Der Tanzflur ist damit nun offiziell eröffnet. Die meiste Zeit wird er von amerikanischen College-Girls (Freundinnen der Braut) und holländischen Damen mittleren Alters (Verwandte des Bräutigams) dominiert. Männer finden sich auf dem Dancefloor erst viel später oder von einer Frau verschleppt wieder. Mehr als sonst bin ich darauf eingestellt, Wünsche zu erfüllen. „Rappers Delight“? Natürlich! „Night Fever“? Sure! No Problem! „Dirty Old Man“? Passt das denn überhaupt? Na ja, was soll’s! Erst bei Meat Loaf und Bob Marley muss ich kapitulieren. Auch mit House Of Pain war nicht zu rechnen. Diese Familie hört tatsächlich fast nur HipHop und Disco!

Nach diversen Beschwerden ruhegestörter Hotelgäste soll gegen Mitternacht aber auch schon wieder Schluss mit der Party sein, und so bittet mich das Paar um eine letzte, langsame Platte. „This Feeling’s Killing Me“ von den Jones Girls ist eine meiner Lieblings-Slow-Jams. Als die Sängerinnen jubilierend zum Chorus anheben, fällt mir etwas am Text auf: „ … but you’re just not the man, and this feeling’s killing me, uh yeah.“ Das ineinander versunkene Paar bemerkt es zum Glück nicht. HANS NIESWANDT

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