soldaten sind kuschelrocker:
von WIGLAF DROSTE
Wenn jährlich „das Unwort des Jahres“ gesucht wird, dann ist es schon gefunden: „Unwort“, ein Wort, das behauptet wird, das es aber nicht gibt, denn „Unwort“ ist selbst ein Wort – wenn auch eins, das mir, außer zum Beweise seiner Grauseligkeit, nicht über die Lippen käme. Suchen wir also lieber das Wort des Jahres. Meins heißt nicht „Gurkenkönigin“ (die Bezeichnung für allerlei Claudias), nicht „uneingeschränkte Solidarität“ (für na Sie wissen schon), auch nicht „moderner Pazifismus“ (für alle, die gern guten Gewissens andere abknallen lassen und dabei ganz besonders feine Menschen sein wollen) und auch nicht „Resturlaub“ für all die Angestelltenexistenzen, die dem Mann mit der uneingeschränkten Solidarität überallhin hinterherdackeln, Hauptsache, Verona Feldbusch reckt die Fische und der Service spurt. Mein Wort des Jahres 2001 ist ein anderes, ein altes und nimmermüde immerneues: Kuschelrocker.
Der Kuschelrocker hat eine lederharte Fassade und einen Kern aus kalter, fahler Wurst. Sein bevorzugtes Instrument ist die elektrische Gitarre. Die ist schön peinlich und macht LERM. Was Ben Becker bei den Menschen ist, das ist der Gitarrist bei den Musikern: immer der lauteste, garantiert – ein Fall für die Brüllabfuhr. Wenn er etwas anderes hört als sich selbst, sagt er: „Ich hör mich nicht.“ Die abgewurschtelste Rockistengeste ist ihm nicht zu dumm, er grätscht, er wühlt und öddelt in den Saiten, er leckt sich mit der Zunge einmal über das ganze Schwitzrübengesicht, weil die anderen Kuschelrocker im Fernsehn das auch machen. Kuschelrocker muss man nicht klonen, das machen sie selbst: Sie kucken sich voneinander ab. Und machen den wilden Mann, aber so was von.
Innen drin sind Kuschelrocker ganz klitzeklein und ganz kuschelig. Deshalb müssen sie kuscheln kommen, bei Mutti. Und ihr von ihren Träumen erzählen: wie sie es einmal geschafft haben werden, alle Herzen erobert zu haben mit ihrem Kuschelrock. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Der ist gepflastert mit gar nicht so kuscheligen Jobs: Urinproben fürs Labor ausfahren. In der Druckerei Papier nachlegen: Arbeit, für die nicht einmal ein Kuschelrocker unterqualifiziert ist. Wenn es mal ganz toll für ihn läuft, kann der Kuschelrocker als Kuschelrockermietling für ein paar Mark den Kuschelrock anderer Kuschelrocker spielen. Das macht den Kuschelrocker froh, aber auch traurig, und das muss weggekuschelt werden. Dafür hat der Kuschelrocker seine Kuschelrockermutti. Alle anderen wissen längst, dass man sich sich von Kuschelrockern fernhalten muss. Aber Mutti ist Mutti. Die kann halt nicht anders. Die nimmt auch noch den Kuschelrocker entgegen.
Kuschelrocker haben außer Mutti auch noch andere Groupies: Soldaten. Die ähneln dem Kuschelrocker aufs Haar: Man kann sie für kleines Geld mieten, sie verdingen sich, und dann richten sie grässliche Dinge an. So hat man gleich noch ein zweites Wort des Jahres: Soldaten. Soldaten sind Kuschelrocker: außen taff, innen Schlamm.
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