nonnen sind nützlich:
von RALF SOTSCHECK
Sie habe lange keine Nonne mehr gesehen, sagt Bernie nachdenklich. „Nonnen sind rar geworden“, meint Triona, „die Klöster klagen über Nachwuchsprobleme.“ In der Grafschaft Wicklow südlich von Dublin hat sich eine Nonne zum Mountain Ranger umschulen lassen und reitet jetzt durch die Wälder. „Meine Friseuse war bis vor kurzem auch noch eine Nonne“, sagt Anne.
Sie wollte früher selbst Nonne werden, sagt Áine: „Ich dachte, sie haben Räder am Ende der Beine, weil sie im Internat stets lautlos durch den Saal schwebten und dabei die Füße nicht zu heben schienen.“ Bis sie zehn Jahre alt war, dachte Bernie, Nonnen seien Männer, weil man nur einen kleinen Ausschnitt ihres Gesichts sehen konnte und die meisten von ihnen Schnurrbärte hatten. Triona hingegen dachte, sie gehören einem dritten Geschlecht an: „Ich glaubte lange, es gebe Männer, Frauen und Nonnen.“
John, Trionas Mann, bedauert das Aussterben der Nonnen. Sie seien manchmal recht nützlich, findet er. In Connemara im Westen Irlands, wo die beiden leben, ist die Arbeitslosigkeit hoch, und die Getränkepreise sind es ebenfalls. So brennen viele ihren Whiskey schwarz. „Poitín“ nennen sie das Gebräu. Eigentlich bezeichnet das gälische Wort einen kleinen Topf, doch jeder weiß, dass damit ein farbloser Schnaps gemeint ist, der meist aus Kartoffeln gebrannt wird. Man kann davon auch blind werden, wenn der Schwarzbrenner nicht sorgfältig gearbeitet hat. Deshalb sollte man den Hersteller kennen, will man sich gefahrlos vergnügen. Da John und Triona erst vor kurzem nach Connemara gezogen sind, haben sie keine Kontakte zur lokalen Unterwelt. Es stehen hohe Strafen auf die private Schnapsherstellung, sie ist seit 1760 illegal, und später erklärte sie die katholische Kirche obendrein zur Kardinalsünde, die nur von einem Bischof vergeben werden kann. Das hielt einen Mönch auf der Insel Achill nicht davon ab, seinen Lebensunterhalt mit dem Segnen von Poitín zu bestreiten.
Das ist allerdings lange her, Mönche sind genauso rar geworden wie Nonnen. Doch John kam das Glück zu Hilfe – ausgerechnet in Form einer Nonne. Sie sammelte für das Waisenhaus, und John spendete großzügig, sodass sie ihn fragte, ob sie im Gegenzug etwas für ihn tun könne. „Das wäre möglich“, antwortete er im Scherz, „verrate mir, wo ich einen guten Tropfen für wenig Geld bekomme.“ Aha, er suche eine Poitín- Quelle, sagte die Braut Jesu. Das sei kein Problem.
Am nächsten Tag stand sie mit einer Literflasche einer US-amerikanischen Brausefirma, gefüllt mit Hochprozentigem, vor Johns Tür. Das Zeug sei ausgezeichnet, meinte John anerkennend, nachdem er probiert hatte. „Es ist der beste, den man in dieser Gegend bekommt“, antwortete die Nonne stolz. Wo sie ihn denn her habe? „Von der Polizei“, sagte sie. „Die beschlagnahmen fast täglich Poitín. Das schlechte Zeug schütten sie weg, aber den guten Schnaps behalten sie. Wenn ich etwas brauche, muss ich nur den Dorfpolizisten anrufen. Er legt dann eine Flasche für mich unter den Sitz seines Streifenwagens und vergisst, die Autotür abzuschließen.“
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