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village voiceGewittergrollen und Glassplitter-Geräusche mit der Gitarre

■ Äußerste Verlängerung der inneren Qualen: Caspar Brötzmann ist der letzte aufrechte Saitenritter und Gitarrenwürger im alten Berlin

Einer der klassischsten Rock-Mythen funktioniert so: Die Außenwelt ist so schlecht, daß die Innenwelt auf diese allergisch reagiert. Haß, Verachtung, Elend staut sich in ihr an, es rumort und brodelt in der gepeinigten Seele. Doch plötzlich bekommt man ein Ventil in die Hand, die Gitarre, ein Ausdrucksmedium der inneren Verzweiflung, eine äußerste Verlängerung der inneren Qualen in die Außenwelt.

Mindestens so pathetisch muß man sich den stetigen Versuch Caspar Brötzmanns vorstellen, sein Innerstes nach außen zu kehren. So hart wie er arbeitet kaum jemand daran, den Psychotherapeuten durch das Spiel auf sechs Saiten zu ersetzen. Er spricht von irgendwelchen Problemen, die er zu bewältigen hatte und die es immer noch zu verarbeiten gilt, von Dämonen, die bloß durch die Lust am eigenen Spielen gebändigt werden können. Er ist ein Sensibelchen. Ein ruhiger, verschlossener Mensch, der seine Geheimnisse aus Angst vor Verletzungen in sich gefangenhält und ihnen keine verbale Entäußerung gestattet. Das muß sein Instrument für ihn erledigen. Music is the key, wie es ganz woanders kürzlich dauernd hieß.

Sein Gitarrenspiel ist legendär. Bei Live-Auftritten bekommt man den Eindruck, daß der Mensch bloß Transmitter des Instruments ist. Die Gitarre spielt durch das Fleisch hindurch, und die Erzitterungen des Körpers entstehen, weil die Kraft des Klang-Generators mit langstieligem Hals so groß ist. Dieser steht ständig unter Starkstrom, die Saiten lechzen vor lauter Anspannung nach Berührungen, und der Verstärker spuckt die seltsamsten Klänge aus: Gewittergrollen, Düsenjets beim Start, Glasklirren, das Geräusch heranbrausender Flutwellen. Toll. Wahnsinn, möchte man jubilieren. So etwas kann sonst niemand – und Jimi Hendrix klatscht dazu begeistert aus seinem Grab.

Caspar Brötzmann hat auf früheren Platten versucht, den klassischen Grundkonstanten handgemachter und ehrlicher Rockmusik – Baß, Schlagzeug und ganz viel Gitarre – mit etwas Gesang den doch etwas spröden Charakter reiner Instrumentalmusik zu nehmen. Dieser klang dann wie ziemlich direkt aus der Gruft, wie Blixa Bargeld beim Heiner-Müller-Verse auswendig lernen, wie die Liturgie eines Satanistenzirkels. Voller Inbrunst und kunstbeflissener Schwere und ganz voller Hang zur Übertreibung und etwas zu viel der tiefschürfenden Peinlichkeiten.

Das war also auch nichts. Deshalb fehlt der Gesang auf der neuen Platte nun vollends. Die Gitarre erhält damit die endgültige Dominanz, Schlagzeug und Baß bekommen Zuarbeiterjobs zugeteilt. Somit ist viel Platz für den endgültigen Aufbruch in die dunkle Welt der Gitarrenwürger und Saitenritter.

Voll das Solo, heißt es jetzt. Das Instrument soll nun alle Last der Authentizitätserrettung auf sich nehmen. Jedes Glasklirren möchte zum Beileid auffordern, jeder startende Düsenjet jetzt erst recht als wütendes Aufbegehren gedeutet werden.

Hoffnungslos. Der Versuch, der Gitarre ihre Ehrlichkeit zu erhalten, ihre Möglichkeit zur Introspektive, ist großer Kitsch, die Außenwelt hat einfach keine adäquate Antenne mehr für so etwas. Früher stand Caspar Brötzmann noch für jemanden, der nach der allerradikalsten Ausdrucksweise suchte.

In Deutschland kaum beachtet, im Ausland als Krachmacher geschätzt. Heute, wo die elektronische Musik viel wilder, radikaler, verrückter ist, als es Gitarrenmusik jemals sein konnte, wirkt das Saiten-Lärmen von Brötzmann geradezu betulich und sogar etwas kleinbürgerlich. Weder Authentizität noch Radikalität sind konservierbar.

Doch Brötzmann faßt sein instrumentales Können als Privileg auf, als Gnadentum, als Geschenk, das er nicht einfach von sich weisen darf. Die Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, die Gitarre gegen eine Maschine einzutauschen, kann er somit überhaupt nicht verstehen. Es geht ihm gar nicht darum, etwas Neues zu machen, wie man es bisher immer vermutet hat, sondern bloß darum, einfach Gitarre zu spielen. Für immer und ewig das Gleiche machen.

Wie der Herr Papa und ein anderer großer Berliner Anachronismus, die Einstürzenden Neubauten. Peter Brötzmann lebt davon, ein rotzendes Saxophon immer noch so zu spielen wie vor dreißig Jahren, und die Neubauten vom eigenen Mythos. Somit heißt es für den Caspar: Willkommen im Club, Willkommen im alten Berlin.

Andreas Hartmann ‚/B‘ Caspar Brötzmann: „Mute Massaker“. Our Choice/RTD

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