village voice: Schöner Zusammenhang: Der Ocean-Club-Sampler
Schwimm dich frei!
Das Schöne an Berlin ist, dass einem ständig Einladungen zur Identifikation gereicht werden. Überall werkeln Gruppen an ihrem speziellen Entwurf, wie die Dinge zu sein hätten und rufen: Beschäftige dich mit uns! Werde Mitglied! Sei ein Teil unseres kleinen Ganzen, das eröffnet eine ganz neue Perspektive auf die Welt! Das geht natürlich nicht, weil man als universal interessierter Nase-Hereinstecker ja überall ein bisschen mittun möchte. Aber weil es so viele Gruppen und Zusammenhänge sind, deren Flyer man findet, auf deren Veranstaltungen man landet und deren Platten man sieht und hört, läuft es darauf hinaus, immer wieder aufs Neue Möglichkeiten angeboten zu bekommen, wie die Dinge sein könnten. Wie sie aussehen könnten, wie sie sich anhören könnten.
Der Ocean Club ist eine dieser Institutionen. Eine der besonders angenehmen. Denn die Offenheit ist hier schon Teil des Konzepts. Man kann vorbeischwimmen, ein wenig mitplanschen und sich dann wieder nach etwas anderem umschauen. Das fängt damit an, dass man ihn im Radio hören kann, immer freitags auf RadioEins, dass man hingehen kann, vierzehntäglich in die Lounge des WMF und dass man ihn seit neuestem auch als Schallplatte in den Händen halten kann.
Mit einer Schallplatte fängt die Geschichte des Ocean Club auch an. Das ist 1994, als sich Gudrun Gut überlegt, wie eigentlich musikalisches Arbeiten strukturiert sein müsste. Alleine? Nein. Band? Auch nicht. Wenn man das Prinzip elektronischer Musik ernst nehmen will, bewegt man sich jenseits von beidem, man arbeitet Stück für Stück mit jemand anderem, man spannt ein Netz auf. So geschieht es dann auch und „Members of the Ocean Club“ erscheint. Bald kann man den Ocean Club dann auch betreten, erst im Tresor, dann mal hier und mal da, schließlich im WMF. Und nun kann man ihn auch in den Händen halten, drehen und wenden und das Cover bewundern, das eine Tuschzeichnung von Gudrun Gut als Meerjungfrau mit Teufelshörnern ziert. Man möchte so gerne Teil davon sein. Und wenn man die Musik dann hört, wird man zum einen eingesponnen in dieses schöne Netz, zum anderen hat man das sichere Gefühl: Dieses Netz hat kein Ende – damit funktioniert die Identifikation natürlich nicht.
Doch anstatt dass man einen Downer bekommt, dass man das Gefühl hat, die Felle schwimmen einem davon – stattdessen lehnt man den Kopf zurück und denkt: So what? Ist doch eh alles eins, das Elektronik-Geplocker, das DripHop-Getröpfel, die Folk-Musik und die Jazz-Standards. Ist doch alles Musik, wofür der ganze Aufriss? Einer der zahllosen Remixe von „Kaltes Klares Wasser“ von Gudrun Guts ehemaliger Band Malaria bollert vorbei, mal singt Meinrad Jungblut ein Lied, wo er die Schwerkraft („überbewertet“), die Sonne („gelbe Sau“) und den Kölner Dom („kann ich mich drüber aufregen“) beschimpft, es hört sich an, als sei es auf den Anrufbeantworter gesungen, dann kommt einer der wunderbaren Tracks aus Thomas Brinkmanns Soulcenter-Reihe.
Viele der Stücke auf der Ocean-Club-Compilation wären entweder schon längst oder doch zumindest bald dem Vergessen anheim gefallen – und das vielleicht nicht einmal zu Unrecht. Doch als kleines Ganzes, als Compilation, als Mix ertönen sie auf einmal in neuer anderer Schönheit, ein Stück gibt das andere, man gleitet von einem Stück in das nächste. Man hat das Gefühl: Schön. Genau. Was für ein schöner Zusammenhang, wie eng verwoben, wie wenig möchte man wieder weg. TOBIAS RAPP
V. A.: „Komfort. Labor presents Ocean Club“ (WMF Rec./ EFA) – Heute feiert der Ocean Club dreijähriges Bestehen, die 200. Radiosendung und Record-Release-Party, 24 Uhr im WMF, Ziegelstr. 23, mit Ready Made FC (Paris), People Like Us (London), DJs Thomas Fehlmann, Gudrun Gut u. a.
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