village voiceGeorgette Dee & Terry Trucks neue CD „Drachenland“: Kalte Schauer, heiße Bauern
Die besten Georgette-Dee-Aufnahmen, so die einhellige Meinung der Fans, sind jene, die die Live-Auftritte möglichst idealtypisch widerspiegeln. Die Diseuse in concert mit ihrem Komponisten-Pianisten Terry Truck, das ist bekanntlich eine sehr eigene Mischung aus Chanson und frei daher erzählten Moderationen. Kleine Geschichten und Abschweifungen über das Leben, die Liebe und den Rest dazwischen. Lebensweisheiten und Küchenphilosophie, verpackt in abwegige Abenteuer des Alltags.
Das letztjährige Programm „Drachenland“, aufgenommen im Mouson-Turm in Frankfurt und in der Bar jeder Vernunft in Berlin, war eine jener Shows von Dee/Truck, die sich erst auf der Bühne gestalteten, im Laufe der Tour die rechte Form annahmen und reiften. Das Resultat findet sich jetzt auf CD, eine gute Stunde aus einem mindestens doppelt so langen Programm, und zur Freude der Fans stehen Songs und Moderationen ausgewogen nebeneinander. Um Angst sollte es leitmotivisch gehen. Dee holt aus, greift tief in die Mythenkiste und stößt auf einen 20-jährigen Junghelden Siegfried, der mit dem Drachen in sich kämpft, und auf Phönix aus der Asche. Der Kosmos ist für Dee eine Kartoffel, die wild durchs All düst, und Mut eine Angelegenheit der Leber. Ab einem gewissen Alkoholpegel stehen wir alles durch.
Ob Märchen, Mythos oder grundlegende Menschheitsfragen – im erzählerischen Redefluss der Dee geht alles ein in diese sehr eigene Sicht der Welt, wird heruntergezogen auf den Boden des Divenalltags, wo Jogurtbecher im Kühlschrank danach schreien, verzehrt zu werden; wo man vor dem ausgeschalteten Fernseher meditiert, so lange, wie der dämliche Film wahrscheinlich gedauert hätte, den man trotzig boykottiert. Dee erzählt und singt in „Drachenland“ die ganze Wahrheit, von den Dingen, die das Leben und das Wesen im Innersten zusammenhalten. Doch bevor sie abhebt ins Kitschig-Versponnene, kriegt sie meist noch die Kurve, schweift ab ins Märchenhafte, lässt sich ins Rotzig-Ordinäre fallen, kontert das Pathos mit einer grellen Pointe.
In den Balladen allerdings, da sind Dee und Truck ganz ungebrochen Gefühl. Das sehnsuchtsschwangere „Amsellied“, längst zum Highlight der Konzerte avanciert, gibt es nun erstmals auch auf CD. „Wunschverstopft und sehnsuchtskrustig/ Macht die Nacht sich lauthals lustig“, singt Dee. In „Mai-Spargelstechen“ reicht ihr eine expressionistisch verkürzte Wortfolge, um sich in Ekstase zu singen: „Spargel stechen – Zweige brechen/ Raps – Klaps – Straps / Gras – nass – Spaß / Kalte Schauer – heißer Bauer/ Komm lieber Mai“.
Dee/Truck-Kompositionen haben einen ureigenen Sound und einen Wiedererkennungswert, der ihnen nicht zuletzt dadurch bereits einen festen Platz in der deutschen Chansongeschichte gesichert hat. Umso überraschender immer wieder, wenn sich Dee/Truck selbst bekanntester Fremdlieder annehmen und sie derart neu interpretieren, dass man sie ganz als ihre eigenen wahrnimmt. So viel Gänsehaut hatte man bei „Don’t let me be misunderstood“ oder Joan Armatradings „Everday Boy“ zuvor noch nie, und Leonard Bernsteins eigentlich totgenudeltes „Somewhere“ bekommt bei Dee eine Dimension, die einen erschauern und vor Erfurcht erstarren lässt. Und auch bei Element of Crime hat sie sich ein Lied geborgt und die Popballade „Das alles kommt mit“ interpretiert. Original und Adaption – ein Lied, zwei Welten. AXEL SCHOCK
Georgette Dee & Terry Truck „Drachenland“ (Viellieb Records) www.vielliebrecords.de, Dee & Truck live am 18./19. 12., 20 Uhr im Hebbel Theater
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