village voice Farben sagt: love to love you baby: Smoothes Knistern der Erinnerung
Bei manchen Leuten stapelt sich Technikschrott vom Feinsten. In den Achtzigerjahren gab es zum Beispiel ein Gerät, das man als Konverter an die Stereoanlage anschließen konnte, um den digitalen Ton vom Videorekorder auf die Lautsprecherboxen zu legen. Umgekehrt funktionierte das System auch, dann wurden die Impulse von CD auf dem Bildschirm zu Bit-Streifen. Entsprechend sah Talk Talks „Spirit of Eden“ aus wie der Barcode auf der Cornflakes-Packung, mit viel Schwarz an ruhigen Stellen. Das war als Spielzeug für ein, zwei Lieder ganz witzig, danach wurde einem klar: Alles Elektronische lässt sich irgendwie lesen. Eine Null, eine Eins, eine Tätärätätä.
Die CD von Farben heißt „Textstar“, und auf dem Cover ist ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund. Nur an den Rändern sind ein paar Spuren von Rot, Gelb, Blau zu erkennen, die das Viereck dünn umrahmen. Auch das lässt sich als ein Statement zum Leben mit Elektronik lesen, als immer währender Kontrast zwischen dem, was auf dem Schirm ist, und dem, was dort noch werden kann – alles eine Frage der Leistung des Rechners, selbst in der Musik.
Farben ist ein Projekt von Jan Jelinek, den viele Leute mögen, weil er sich mit Abstraktion auskennt. Besonders gut kam dabei an, dass er für sein Album „Loop-finding-jazz-records“ vor einem Jahr lauter millisekundenlange Samples aus der hohen Schule des Jazz benutzt hat, deren Herkunft sich in all dem mikrofaserfeinen Knistern und Rauschen kaum ausmachen ließ. Endgültig schien die Grenze erreicht, an der sich Breaks, minimalistische Fragmente und jedes beliebige Geräusch in der Leitung nicht mehr unterscheiden. Das war auf dem Höhepunkt von Clicks & Cuts, als Mille Plateaux ein 3-CD-Set herausbrachte, so viel Kunst lag da noch in jedem Knacken.
Mittlerweile ist das Eighties-Revival ins Land gezogen, die Musik in den Clubs klingt nach Billig-Compilations, die man auf Onyx von holprigen Werberstimmen angeboten kriegt: „Kein Jahrzehnt hatte so viele Hits!“ Bei Jelineks Farben knackt es derweil weiter, mit einem Hang zum Funk. Das liegt zweifellos daran, dass „textstar“ sich aus älteren Eps zusammensetzt, die der Powerbook-Songschneider seit 1998 für das Label „klang elektronik“ aufgenommen hat. Dennoch findet hier nicht das falsche Retro zum falschen Beat statt – zumal Jelineks Art, Cluster und Datenscapes ineinander zu schieben, recht zeitlos bleibt. Das Eröffnungsstück kündet zwar sehr präzise „live at the Sahara Tahoe, 1973“ an, und der Flohmarktgänger kann dazu umgehend seine gleichnamige Isaac-Hayes-Platte in Stellung bringen. Aber im Ergebnis ist der Track wie die anderen acht Kompositionen nicht in irgendeiner Szene verortbar – für Techno zu barock und verspielt, für House und Disco zu wenig tempofest.
Uplifting ist „textstar“ trotzdem, vermutlich wegen der inneren Struktur. Indem Jelinek das Originalmaterial per Computer nach Samples durchsiebt, die weit kürzer als jede Ton- oder Melodiefolge sind, kommt das Verfahren der Fotografie nahe. Auch dort werden nicht die gesamten Bewegungsabläufe sichtbar, sondern bloß der glückliche Augenblick, in dem bei der Betrachtung all das enthalten zu sein scheint, was sich vorher über eine ellenlange Zeitspanne hinzog. Jelinek nimmt nicht die Musik von einst, sondern ihre Atmosphäre, er übersetzt Dauer in Situationen. Bei Isaac Hayes waren das immerhin eineinhalb Konzertstunden, die sich nun in fünf Minuten zum unentwegt modulierten Rauschen verdichten. Da ist natürlich genauso viel Schmacht und Smoothness drin wie in einem ganzen Abend voller „Look of Love“. Es hört und fühlt sich nur anders an, wie null und eins, basic eben. HARALD FRICKE
Farben: textstar (EFA / Neuton)
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