village voiceAtelier Theremin: Ein Quai, auf dem die Mädchen stehn
Sie ziehen sich manchmal barocke Gewänder an, manchmal auch selbst geschneiderte Taucheranzüge, dann wieder fashionable rosa Rollies, Jeans und Leder. In jedem Fall passt der quer durch den Kleiderschrank gemixte Dresscode zur musikalischen Ausrüstung: Geige, Sampler, Trautonium. Denn die Instrumente sind von Manfred Miersch, der die Band Atelier Theremin 1997 gegründet hat, ebenfalls beiläufig und doch bewusst gestylt worden. Die Drumbox sieht wie eine fliegende Untertasse aus, die Turntables wurden auf das nackte Laufwerk reduziert, die Geige ist nur ein Skelett mit vier Saiten.
Auch der gleichnamigen CD von Atelier Theremin merkt man den unbedingten Willen zur Kunst an. Neue Musik, Raumpatrouille Orion, Performance-Singsang à la Holger Hiller, der mal beichtete: „Die Welt ist ein Quai, auf dem Mädchen stehn und den Matrosen den Kopf verdrehn“ – so rund kann es in einem Künstlerhirn zugehen. Dafür hat Miersch immerhin an der HdK und in Hamburg studiert. Nachdem ihm irgendwann die zähe Theoriearbeit am Betriebssystem Kunst zu mühsam wurde, hat er sich in Sachen Musik auf seinen Instinkt verlassen: Er ist Chef des offiziellen Roky-Erickson-Fanclubs von Berlin und hat ein Faible für Hannovers Psychedeliker 39 Clocks – das weist ihn als amtlichen Acidhead aus. Und er hat mit der aus Neuseeland stammenden Schauspielerin Megan Gay eine Stimme gefunden, die Texte aus einem Lehrbuch über Hypnose bis zum Einschläfern sanft vortragen kann, um einen kurz darauf mit gequakten Kinderbuchversen von Dr. Seuss wieder aufzuschrecken.
Überhaupt ist Gay die extrovertierte Randspur im Spacetrack-blubbernden, kinofuturistischen Soundgeflecht von Atelier Theremin. Wenn sie wütend wird, kann man bei dem zweiminütigen „B“ kaum den zahllosen Wörtern folgen, die sie scharf wie ein Messer von „Blindgänger“ und „beschissen“ bis „Bauarbeiter“ und „Bomberjacket“ durch die Listen rattert. Damit es auch mit der Musik klappt, gibt Miersch gemeinsam mit dem Elektroniker Michael Schill verfremdete Drumbeats dazu, die nicht nur krank klingen, sondern vermutlich ähnlich gemeint sind wie früher die Pressluftbohrer bei den Einstürzenden Neubauten – die darke Seite der Eighties eben. Offenbar war das Publikum mit diesem Remodelling von Hausbesetzer-Industrial und Synthie-Elegien bisher ganz zufrieden. Bei den Live-Aufnahmen, die im Juli 2000 während der „Z2000“-Ausstellung im Pavillon von Rüdiger Lange entstanden sind, gibt es sogar wilden Applaus, bevor ein Rudel Schafe zu blöken beginnt.
Tatsächlich produzieren Atelier Theremin hörbuchartige Atmosphären, bei denen man zwar den zehn Miniaturgeschichten über Drogentrips und wildernde Tiere zuhört, aber dann immer wieder von einem störenden Geräusch, einem Thereminfiepen oder unentwegt zu Bruch gehenden Gläsern, aus der Aufmerksamkeit gerissen wird. Oder aus dem sanften Dösen, in das man bei manchen Ambient-lastigen Passagen verfällt. Das alles ist klug gesetzt, immer mit einem Augenzwinkern an der Avantgarde lang, weshalb das Trio vom Flyer gehypt werden kann, obwohl es nicht im Tresor, sondern im Podewil spielt. Bleibt nur das seltsame Label, auf dem Atelier Theremin veröffentlichen: „Krautopia-Records“, so liest man auf der Homepage www.krautopia.com, widmet sich der „Förderung und Verbreitung experimenteller Popmusik, die sich dem Phänomen des Krautrock verbunden fühlt“. Und auch sonst will man „für Peinlichkeiten, für Zufälle und interessante technische Störungen“ offen sein. Bisher gibt es auf dem Label allerdings nur eine Platte, nämlich diese. HARALD FRICKE
Atelier Theremin: dito (Krautopia Records)
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