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„verboten meint es ernst“

Seit März 2000 erscheint die Seite 1-Rubrik „verboten“. Der stellv. Chefredakteur Peter Unfried über die Machart und Funktion von „verboten“, sowie über Ironie und intelligente Unterhaltung in der taz

Was will verboten eigentlich?

verboten hat ein bescheidenes Ziel. Es lautet: täglich die ultimative Absurdität der Gegenwart auf ihren aktuellen Punkt bringen. Diese Absurdität steckt im wichtigsten politischen Thema des Tages oder im Thema, das den populär-orientierten Medien am wichtigsten ist.

Ist verboten gleich die taz?

verboten ist nicht die taz. Es ist ein Teil der taz wie die Wahrheit auch. Die taz ist die Zeitung, die sich von den anderen unterscheiden will und muss. Eine wichtige Qualität der taz besteht im Distinktionsgewinn.

verboten ist intelligente Unterhaltung.

Nein. Intelligente Unterhaltung ist kein Inhalt, sondern eine ästhetische Form. verboten kommentiert Kultur und Politik intelligent unterhaltend. Auf der Grundlage, dass die taz eine einzigartige politische Zeitung ist - und als einzige nicht primär dafür gemacht, damit irgendjemand Geld verdient. Ohne diese Grundlage taz wäre verboten ein Deckmäntelchen-Hallodri wie „Zippert zappt“ in der Welt.

Aber das Streiflicht der SZ ist doch konkurrenzlos?

Das Streiflicht ist aufwendig recherchiert und kunstvoll geschrieben. Schön. Klug. Gebildet. Wie das Zeit-Finis ein betulicher Anachronismus zur Selbstbestätigung für eine bildungsbürgerliche Klientel, die es vermutlich nicht oder bald nicht mehr gibt.

Manche hassen verboten .

Das ist bedauerlich. Aber politische Korrektheit ist der Tod jeder ironischen oder satirischen Kritik. verboten darf wehtun. Den Richtigen. Das ist ja kaum zu vermeiden, wenn man einen Sachverhalt auf seinen wahren Punkt bringt. Die taz hat ja zwei wichtige Funktionen: inhaltlich eine besondere politische Zeitung zu sein - und mit besonderer Kreativität die Grenzen des konventionellen Journalismus ausdehnen zu können. Damit werden auch nebeneinander zwei Teile der Stammleserschaft bedient.

Viele sagen: v erboten lese ich als erstes morgens.

Das Schlimmste ist, wenn ein verboten-Freund verboten liest und nicht lächeln muss, sondern nur denkt: naja. Dann hat verboten versagt.

Ist verboten eine Glosse?

verboten ist eine innovative, eigenständige journalistische Form. Die Glosse funktioniert ja kaum mehr. Die überzeugendsten Beweise dieser Erkenntnis finden sich im Spiegel. Gerne auch auf den Meinungseiten der Regionalblätter Tagesspiegel und Berliner Zeitung.

Warum funktioniert die Glosse kaum mehr?

Alles fließt. Man kann nicht mehr einfach das Gegenteil von dem hinschreiben, was man meint, und zwar so, dass es auch jeder sofort merkt.

Wer es nicht macht, betreibt Affirmation.

Man darf die Schwelle zur Affirmation nicht überschreiten. Aber man muss so nah dran sein, dass es kitzelt, und dass der Adressat zwar erleichtert aufseufzen kann, aber eine klitzekleine Restunsicherheit bleibt.

Warum das?

Weil das Leben so ist.

Was heisst das konkret?

In der Aufarbeitung des Grünen-Kriegsdilemmas kam verboten zum Beispiel fast schon drostesk moralisch, also zu eindeutig und nicht verboten genug daher.

Wie muss es sein?

verboten ist seit vielen Monaten engagierter offizieller Unterstützer der Kanzlerkandidatur von Dr. Edmund Stoiber.

Das ist natürlich ironisch.

Keineswegs. Noch einmal: verboten meint es ernst - entzieht sich aber dem kontraproduktiven Zwang zur Ernsthaftigkeit.

Worum geht es letztlich?

Es geht darum, die Ironie in allem zu erkennen. Das ist ja Harald Schmidts große Leistung. Die Qualität von verboten ist die Überwindung von den Erkenntnisgewinn beschränkenden Hindernissen. Unangemessene Ernsthaftigkeit. Political correctness. Bestimmte journalistische Konventionen. Durch diese Freiheit kann verboten präziser treffen und im Idealfall politischer sein als der beste Leitartikel.

Was heisst das konkret?

Wenn verboten sich als weltweit einzige Seite 1- Rubrik als schwul outet, so ist das kein Spaß. Es ist ein Kommentar zur Lage der Welt, der auf der Grundlage höchster Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit verfasst wird.

Im gern skizzierten Gelächter der Spaßgesellschaft funktioniert die Ironie nicht mehr?

Es ist richtig, dass die so genannte Spaßgesellschaft nicht auf der Basis des so genannten Guten funktioniert. Das ist ein Wertezentrum, von dessen Abweichungen man sich lachend distanzieren würde. Dennoch ist irony nicht over. Wie sollte man das alles denn ohne sie aushalten? verboten und die Ironie der taz sind handwerklich zeitgemäß. Sie haben ihren Ursprung im berühmten Leiden an den Verhältnissen und zielen auf das klassische utopische Moment.

Was ist entscheidend?

Selbstironie. Das ist ja die höchste Form der Ironie und die schwierigste, weil sie letztlich die Distanz zwischen den Verfehlungen der Welt und dem eigenen Ich aufhebt. Selbstironie ist das Eingeständnis, selbst Mitschuld zu haben. Das ist etwas, was z.B. dem Spiegel völlig fremd ist. Es geht nicht nur darum, die Idioten als Idioten kenntlich zu machen. Das muss sein, greift aber zu kurz. Es geht letztlich auch darum, sich selbst als Idioten kenntlich zu machen, weil man sich von den Idioten gefallen lässt, dass sie aus der Welt eine Idiotenwelt machen.

Was plant verboten als nächstes?

verboten meldet sich wieder.

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