: ...und der Ball weinte
■ Spaniens Trainer Clemente setzt voll auf Defensive, muß aber heute ohne seinen Staubsauger und den Pfeiler auskommen
Berlin (taz) – Was dem Vogts sein Kaiser, ist dem Clemente sein Cruyff. Der spanische Nationaltrainer Javier Clemente versicherte vor einigen Tagen der spanischen Tageszeitung El Pais: „Meine Mannschaft hat einen ähnlichen Stil wie Deutschland“, und meinte damit „Kraft, Schnelligkeit und Kampfbereischaft“.
Clemente (157 cm) predigt Terriertugenden, setzt auf Verteidigung und fordert Unterdrückung des Spieltriebs: das Gegenteil von dem, was Johan Cruyffs FC Barcelona attraktiv und erfolgreich praktiziert.
Die spanische Presse hat Cruyff und Clemente („Ich entscheide“) zu Intimfeinden erklärt. Seit 1950 hat keine spanische Nationalelf je ihr erstes Spiel bei internationalen Fußballturnieren gewinnen können. Auch im Spiel gegen Südkorea kam trotz glücklicher 2:0-Führung schließlich nur ein 2:2 heraus.
Zwar hatte Clemente vorlaut einen hohen Sieg für seine Mannschaft vorausgesagt, wer aber soll die Tore schießen, wenn der Trainer seinen Ballkünstlern nichts als lange Pässe nach vorn verordnet?
Die körperbetonte spanische Mannschaft begnügt sich mit nur einem wirklichen Stürmer, dem 31jährigen Julio Salinas (O-Ton Clemente: Der Unverstandene). Salinas Markenzeichen ist der schleichende Gang des Panthers Baghira aus dem „Dschungelbuch“, manche halten ihn aber für den ungeschicktesten Spieler, der je durch den Strafraum gestolpert ist. Bezeichnend, daß bei seinem Führungstor gegen Südkorea, wie El Pais schreibt, „der Ball weinte, als er die Linie überquerte“.
Salinas spielt in den USA seine dritte WM, aber beim FC Barcelona keine Rolle, dort werden mit Stoichkov und Romario vor allem die teuren Importspieler amortisiert.
Clemente jedoch setzt genau auf den Mann, der unter Cruyff in der letzten Saison nur 1.100 Minuten spielen durfte und deshalb zu Vizemeister La Coruna wechselt. Im Trainingslager in Madrid wurde der Stürmer unlängst von einem Real-Madrid-Fanatiker als „Scheiß Baske“ beschimpft; viele Zentralisten stört, daß nur zwei Spieler aus der Hauptstadt kommen.
Dagegen hat Clemente zahlreiche Spieler aus anderen spanischen Regionen berufen, darunter viele aus dem Baskenland, wo er selbst früher Spieler und Trainer bei Athletic Bilbao war. So vertraut er weiterhin auf den erfahrenen, gegen Südkorea gesperrten Torhüter Andoni Zubizarreta (Clemente: Die Sicherheit), auch wenn Zubi in Barcelona nicht mehr überzeugen konnte und Santiago Canizares seine Mannschaft im ersten Spiel vor der Niederlage rettete.
Der neue spanische Star, Julen Guerrero, kommt ebenfalls aus Bilbao. Dort war der trickreiche Mittelfeldartist das Hätschelkind von Jupp Heynckes. Heute, mit 20 Jahren, ist er das Sexsymbol der weiblichen Fans und Nachfolger Butraguenos in der Publikumsgunst. Nun soll er, als zweite Spitze aus dem Mittelfeld kommend, Tore schießen und vorbereiten, was ihm jedoch gegen Korea nicht gelang, wohl aber dem Madrilenen Jose Luis Caminero (Clemente: Der Komplette), der Guerrero in der zweiten Halbzeit ersetzte und an beiden spanischen Toren kreativ beteiligt war.
Zu den Künstlern zählt auch der Katalane Josep Guardiola (Clemente: Die Intelligenz), der bisher nicht zum Einsatz gekommen ist. Cruyffs Spielorganisator soll aber, wie die anderen technisch versierten Spieler von Barcelona, das gewohnte Kombinationsspiel vergessen: Clemente fordert Minimalismus und Zügelung des Offensivdrangs, Mannschaftssinn und Altruismus.
Gegen Deutschland fehlen Spanien zwei Spezialisten, der gesperrte Abwehrchef Miguel Angel Nadal (Bernd Schuster: „ein Staubsauger“), und der verletzte Freistoßspezialist Fernando Hierro (Clemente: Der Pfeiler).
Sollte Guerrero keine Freiräume finden und Salinas das Tor nicht treffen, bleibt Clemente immer noch der Geheimtip, Juan Castano, „Juanele“. Das 23jährige Dribbelwunder aus Gijon war in der spanischen Liga mit sauberen Methoden kaum zu halten und könnte zu den Entdeckungen dieser WM gehören.
Doch Clemente scheut Experimente. Da aber Theorie und Praxis oft zwei Paar Fußballschuhe sind, ist es möglich, daß sie heute, entgegen verordneter Taktik, ihrem Spieltrieb freien Lauf lassen. Stefan Scheuermann
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