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ulrike winkelmann über GolfDie tollen Tipps der Mittelstandseltern

Praktikum statt Kinder machen hieß die Devise. Das rächt sich jetzt – mit Kindern wären unsere Jobs sicherer

Was ich an Zeitungen wirklich schätze, ist ihre Funktion als Orakel. Kaum dass ich gelesen hatte, dass die Wirtschaftskrise derzeit besondere Verwüstungen im Dienstleistungs- und Mediensektor anrichtet und hier wiederum vor allem die Jüngeren trifft, stand auch schon meine Mitbewohnerin im Türrahmen und fragte, ob ich einen guten Arbeitsrechtler kenne. Sie reichte mir einen Schriftsatz: Ihre Public-Relations-Agentur hatte ihr gekündigt. Und wie! Nicht bloß betriebsbedingt, nein. Richtig mit Intrige und Lügereien der Geschäftsführung und sofort Mail-Konto sperren und allem Drum und Dran!

Seither sitzen Menschen, die Jura studiert haben, und Menschen ohne Jura-, aber mit Klage-und Prozesserfahrung bei uns in der Küche und geben gute Ratschläge und erzählen, wen alles sie kennen, der neun! Monatsgehälter Abfindung aus seinem Betrieb gequetscht hat. Es stellt sich heraus, dass die Höhe einer Abfindung mit der Ernsthaftigkeit wächst, mit der man einen Betriebsrat zu gründen versucht hat.

Aber das ist jetzt keine Option mehr für meine Mitbewohnerin, obwohl sie sich damals, als sie noch einen Arbeitsplatz hatte, schon mehrfach erkundigt hatte, ob „diese komische Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di“ auch für PR zuständig ist. Bei ihr im Betrieb wusste das aber keiner.

Nein, aus dieser Richtung ist für meine Mitbewohnerin keine Rettung mehr zu erwarten. Die Frage lautet vielmehr: Lassen sich die Fehler der Geschäftsführung in einem Verfahren so ausnutzen, dass sich dadurch die Abfindung erhöht? Dazu bräuchte man wiederum Zeugen, sprich Exkollegen, die vor Gericht aussagen würden, dass der Chef wirklich gesagt hat, dass meine Mitbewohnerin als alte Quertreiberin sowieso nicht mehr gewollt wurde.

Allgemeines Kopfschütteln am Küchentisch: Unwahrscheinlich, weil alle, die jetzt noch einen Job haben, den auch gerne behalten würden. Angeblich gibt’s sogar ein ungeschriebenes Gesetz, wonach man Kollegen nie in Arbeitsrechtsgeschichten reinzieht. Ach so. Die nächste Flasche Wein wird geköpft – in der Tat treibt Arbeitslosigkeit den Alkoholkonsum allein schon deswegen in die Höhe, weil man die Leute, die Jura studiert oder Prozesserfahrung haben, für ihre guten Ratschläge ja wenigstens ordentlich bewirten will.

Meine Freundin Frida erzählt, dass das Wichtigste überhaupt ist, dass die Eltern die böse Nachricht gut verkraften. Ein Arbeitsamt von innen zu sehen, sei an sich als wertvolle Erfahrung zu verbuchen. Aber wie sollen Mami und Papi begreifen, dass sechzehn Semester plus Auslandsaufenthalt noch nicht genug waren, um das Kind sicher unterzubringen? Frida meint, dass hier die Medien unheimlich geholfen hätten: Wenn es schon in den Zeitungen steht, dass neuerdings auch Mittelstandskinder arbeitslos werden, haben die Eltern nicht so sehr das Gefühl, versagt zu haben. Irgendwer will neulich von seinem Vater sogar den Satz gehört haben: „Vielleicht habt ihr es wirklich schwerer als wir“, aber das halte ich für ein Gerücht. So weit sind die noch nicht.

Eines aber haben unsere Eltern allerdings auch schon gemerkt: Der während der sechzehn Semester wiederholte Tipp: „Kleines, mach erst Karriere, mit Kindern verbaust du dir nur alles!“, ist voll nach hinten losgegangen. Schließlich wird Leuten mit Familie nicht gekündigt. „Hätte ich in all den Jahren Kinder gemacht statt Praktika, hätte ich meinen Job jetzt noch!“, stöhnt meine Mitbewohnerin. Sie bestreitet schlankweg, dass sie doch aber mit Kindern und ohne Praktika ihren Job nie bekommen hätte. „Als wenn auch nur ein einziges Praktikum etwas mit meinem Job zu tun gehabt hätte!“ Stimmt auch wieder. Von jemandem, dessen Praktikum ihm in einen Beruf geholfen hätte, haben wir alle noch nie gehört.

„Blöd, dass man Kinder nicht nachreichen kann“, sagt Frida. Nein, für sie und meine Mitbewohnerin ist das alles zu spät – andererseits: Wenn sie sich als Personal-Service-Agentur selbstständig machten und erstens Leuten den entscheidenden Rat geben, wie man sich seinen Job erhält, und zweitens das demografische Problem mit der Rentenzahler-Produktion lösten? Könnte man damit nicht Geld verdienen? Allgemeines Kopfnicken und Stühlerücken: „Unbedingt muss eine Zeitung darüber schreiben, damit wir als Trendsetter bekannt werden!“, ruft meine Mitbewohnerin. War ihr PR-Job doch für was gut.

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