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ulrike herrmann über Non-Profit Polizei ist, wenn sieben schwitzen

Nachts lohnt sich Lächeln: Bei der Verkehrskontrolle in der Hauptstadt gibt’s schon mal Rabatt

„Steigen Sie mal bitte ab, junge Frau!“ Die Stimme hat so etwas Bestimmtes, Finales. Sie kommt von hinten, wie aus dem Off; um mich herum dehnt sich nur Dunkelheit. Es könnte eine einsame Allee in Mecklenburg sein. Ist es aber nicht. Es ist eine einsame Hauptstraße in Berlin-Mitte.

Doch da ist diese strenge Stimme schon wieder: „Steigen Sie mal bitte ab, junge Frau!“ Auch ohne Augen im Hinterkopf kann kein Zweifel aufkommen: Oh Scheiße, die Polizei! Und in der Tat: Da überholt mich auch schon die vergitterte Wanne und bremst so markant, als wollte sie ein Zeichen setzen. Quietsch.

Wäre ich frech, hätte ich jetzt bestimmt gesagt: „O.k., Baby.“ Aber ich bin nie frech, lächele lieber. Manchmal schüchtern. So wie jetzt. Nie würde ich mich trauen, diesen hübschen Blonden darauf hinzuweisen, dass ich mindestens zehn Jahre älter bin als er. Dass er sich seine „junge Frau“ also schenken kann. Das ist zu peinlich, außerdem ist er nicht allein: Gleich acht gut aussehende Twens schwitzen da in der Wanne. Sie alle tragen Kampfmontur, dickes Grün und schwere Stiefel. Nur die Helme haben hitzefrei und dürfen unter der Decke baumeln.

„Sie haben eine Ordnungswidrigkeit begangen, junge Frau.“ Das sehe ich auch so: Nachts um elf bin ich zweimal bei Rot über die Ampel geradelt. Und sehe es dennoch falsch. „Wie konnten Sie das tun, wo wir doch direkt hinter ihnen waren?!“ Ich schweige erstaunt. Was ist denn das für eine Frage? O.k., ich habe ein Gesetz gebrochen, o.k., ich muss bestraft werden. Aber was hat die Polizei damit zu tun?

Vielleicht fragen sich nur Frauen so was. Jedenfalls wussten alle Männer meiner Bekanntschaft, denen ich es später erzählte, was ich unbedingt hätte sagen sollen, um gratis davonzukommen: „Dass du sie gar nicht gesehen hast!“ Was sogar stimmt. Es war schließlich nachts, und die Wanne stand tückisch unbeleuchtet am Straßenrand. Aber mir war einfach zu neu, dass die Polizei nicht Gesetze hütet, sondern die eigene Berufsehre.

Was aber niemand merken soll. Akribisch wird mir die Straßenverkehrsordnung vorgelesen – „§ . . .“ – und ein Protokoll aufgenommen: „Invalidenstraße . . ., Manfred, welche Nummer ist hier?“ – „143“ – „Manfred, ich nehme dich als Zeugen.“ – O.k.“, murmelt es erschöpft aus der ersten Sitzbank. Es ist einfach zu heiß.

Polizei ist, wenn einer schreibt und sieben schwitzen. Eine ganze Wanne nur für mich, das wirkt so unproduktiv, dass mehr dahinter stecken muss: „Was machen Sie denn sonst so?“ Die Männer meiner Bekanntschaft sind entsetzt. „Das hast du hoffentlich nicht wirklich gefragt, oder?!“ Doch, aber keine Sorge: Dieser neue Angriff auf die Polizeiehre wird typisch Mann abgewehrt – und ignoriert. Als seien ihre Ohrmuscheln nie berührt worden, schwitzt die Polizei einfach weiter.

Dafür geraten die Männer meiner Bekanntschaft in redseliges Grübeln: „Es war eine Wanne, sagst du?“ Sie alle wirken plötzlich, als würden sie im Geiste ihr Kindheits-Auto-Quartett wieder vom Speicher holen: „Komisch, für die Verkehrskontrollen sind doch eigentlich die ‚Büchsen‘ da!“ Das sei der Szenefachausdruck für den VW-Bully, wird mir nachgeholfen. Ich komme mir wie die kleine Schwester vor. Und lerne in diesem Automarken-Kenntniswettbewerb auch noch, dass die Berliner Polizei nicht nur einen Wannentyp besitzt, sondern gleich neun! „Und sechs verschiedene Wasserwerfer!“ Auch der alternative Mann entkommt anscheinend nicht dem Reiz der Technik.

Trotzdem weiß ich immer noch nicht, was die neun Wannentypen sonst so machen – außer 50 Mark Strafgeld von mir zu kassieren. „Es hätten auch 125 Mark sein können“, tröstet mich der Blonde. Die Polizei nimmt das neue Rabattgesetz wohl ernster als die meisten. Lächeln lohnt sich also doch.

Dann fahren die acht an, rasen hundert Meter, bremsen, springen hinter den Gittern hervor, klingeln, stürmen durch eine Tür. Ein Fernsehkrimi könnte nicht echter aussehen. Ich fühle mich schon wie eine Privatdetektivin, wie die ungeliebte, ja gehasste Konkurrenz, die beharrlich hinter der unfähigen Kripo herspioniert. Und habe Glück. Durch ein Fenster im Erdgeschoss ist es bestens zu sehen – der Einsatz endet an einem Kaffeeautomaten. Der Polizeiwache.

Fragen zu Non-Profit?kolumne@taz.de

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