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ulrike herrmann über Non-ProfitGeneration ohne Auftrag

Lust auf die eigene Vergangenheit? Wer die Mitschüler von früher im Internet treffen will: www.passado.de anklicken

Wenn wir uns treffen, dann fragen wir uns manchmal: „Ob wohl schon jemand gestorben ist?“ Aber das fragen J. und ich nur selten, weil wir uns nur selten treffen. Und die Antwort haben wir auch noch nicht erfahren.

Wahrscheinlich aber leben alle Mitschüler. Ganz sicher bin ich nur bei J. Denn er ist der Einzige, den ich noch von damals kenne. Das spricht nicht für mich. Schließlich waren wir ein riesiges Reformgymnasium. Allein in meiner Jahrgangsstufe hätte ich unter 160 Mitschülern auswählen können. Aber irgendwie habe ich immer darauf gewartet, gewählt zu werden. So funktioniert das natürlich nicht.

Seither wurde ich das Gefühl nicht los, meine Vergangenheit verpasst zu haben. Während meine Mitschüler wilde Partys feierten, jedenfalls in meiner Fantasie, lag ich auf dem Bett und langweilte mich mit Hermann Hesse.

Aber nun, seit neuestem, gibt es doch noch eine Chance, die eigene Jugend nachzuholen. Letzte Woche versprach plötzlich ein E-Mail-Kettenbrief „viel Spaß“. Man müsse nur www.passado.de aufrufen – und schon würde man den Klassenkameraden von damals im Internet begegnen.

Bitte wähle ein Bundesland aus, verlangt der Bildschirm. Also gut: Hamburg. Dabei kannte ich Hamburg als Kind gar nicht, sondern nur einen Stadtteil namens Langenhorn. Das war gebaute Gewerkschaft. Die „Neue Heimat“ hatte viele, viele kleine, weiße Reihenhäuschen errichtet. Jedes sah gleich aus –bis der Heimwerkermarkt erfunden wurde. Dort konnte man dann Plastikfliesen kaufen, die gräulich-grauenvoll aussahen. Angeblich sollten sie die Häuser von außen isolieren, aber tatsächlich sie endlich vom Nachbarhaus unterscheiden.

Wer noch mehr Drang zum Individuellen hatte, staffierte seinen Vorgarten aus. So war eine Mülltonne bald nur noch eine würdige Mülltonne, wenn sie einen Unterstand aus Waschbeton bekommen hatte.

J. und ich haben einmal ausgerechnet, dass unsere Eltern und ihre Nachbarn im Durchschnitt 25 Jahre alt waren, als sie mit dem kleinen Reihenhaus eine ihrer letzten großen Entscheidungen trafen. Verheiratet waren sie längst. Viele hatten auch schon Kinder, einen VW-Käfer und jenen Posten, der sie bis zur Rente beschäftigen sollte. „Und wir, mit 38?“ Wir melden uns bei www.passado.de an.

Bitte wähle deine Schule aus. Okay. Das Heidberg-Gymnasium. Auch der Westen kannte Plattenbauten und ganz besonders das „Doppel-H“ aus Waschbeton. Zwei Eingänge, zwei Stockwerke plus Erdgeschoss – das machte insgesamt 24 Klassenräume für etwa 720 Schüler. Das Doppel-H ist das Synonym für die Bildungsrevolution der 70er. Ich wüsste gern, wie viele davon insgesamt gebaut worden sind. Und ob diese Klassen-Kästen auch in Bayern stehen.

Deine Schuldaten: Abschlussjahrgang und Jahr des ersten Besuchs. In Ordnung. 1974 bis 1983. Wir waren die Generation zwischen Ölkrise und Waldsterben. Eine Generation ohne Namen. Keine 68er, keine „Zaungäste“ wie die 78er, keine 89er und keine Generation Golf. Wir waren eine Generation ohne Auftrag. „Und wir mussten nie Helden sein.“ J. bedauert das, ich nicht. Der Nationalsozialismus kam in der Schule oft genug vor, damit ich mir meine Begabung zum Mitläufertum vorstellen konnte.

Wenn man wollte, könnte man uns die Generation der Banklehrlinge nennen. Denn als wir Abitur machten, wurde gerade die Akademikerarbeitslosigkeit als neues Phänomen entdeckt. Das schreckte uns und unsere Eltern. Und vor allem schreckte es die Eltern von Töchtern.

Zwar machte auch mancher Junge eine kaufmännische Ausbildung, aber bei den Mädchen suchte die Hälfte in den großen deutschen Unternehmen nach Sicherheit. Obwohl sie sich eigentlich als Tierärztin oder Architektin träumten. Ob sie es vielleicht doch noch geworden sind?

Von www.passado.de erfahre ich es nicht. Denn dort hat sich bisher nur ein Einziger von meinen 160 Mitschülern angemeldet. Der Name sagt mir nichts. Weder sein Geburtsname noch der Name seiner Frau, den er angenommen hat. Soll ich ihm trotzdem mailen, dass ich es gut finde, dass er ein moderner Mann geworden ist? Aber so etwas schreibt man doch keinem Fremden.

Außerdem erinnert er sich bestimmt nicht an mich. Und das dürfte sich selbst dann nicht ändern, wenn ich versuchen würde, mich zu beschreiben: „Hallo, ich war in der 7 b und hatte halblange dunkelblonde Haare.“ Wie nichts sagend, so sahen alle aus. „Stimmt, du warst unauffällig“, meint J. Will ich noch mehr über meine Vergangenheit wissen? Lieber nicht.

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