überleben in berlin (4): Der Kuckuck: Kein Kuckuck ohne Wirtsvögel
Die Großstadt verdrängt viele Tier- und Pflanzenarten. Andere gewöhnen sich an den Trubel - und lassen sich hier nieder. Parallel zur Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen in Bonn stellt die taz einige bemerkenswerte Berliner vor.
"Kuckuck, Kuckuck, rufts aus dem Wald" - oft gesungen, aber falsch: Der Kuckuck lebt nicht im Wald, sondern an schilfreichen Gewässern, in Heiden und Mooren, in offenen und halboffenen Landschaften also. Rund 130 Kuckucksmännchen hat die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft 2007 in Berlin ermittelt. Die Frauen können nicht gezählt werden, weil sie nicht rufen. "Gemessen daran, dass zwei Drittel der Stadtfläche bebaut sind und ein Kuckucksmännchen bis zu 50 Hektar beansprucht, ist das ein gutes Ergebnis," freut sich Klaus Witt, zuständig für die Berliner Kuckuckskartierung. Bundesweit wird der Bestand des Kuckucks, Vogel des Jahres 2008, auf bis zu 90.000 Brutpaare geschätzt.
Ob an der Havel, im Tegeler Flies, im Hobrechtswald in Pankow oder am Müggelsee - in naturbelassenen Gegenden, wo es den Drosselrohrsänger, den Hausrotschwanz, die Bachstelze oder das Rotkehlchen gibt, ist auch der Kuckuck zu finden. Ohne diese Wirtsvögel könnte sich der Kuckuck nicht fortpflanzen. "Der Kuckuck ist Anzeiger dafür, ob die Landschaft noch intakt ist", so Witt. "Ohne Wirtsvögel kein Kuckuck".
Der Kuckuck gehöre zu unserer Landschaft "einfach dazu", findet Witt. "Außerdem ist er ein Vogel mit einer ganz besonderen Biologie, denn er ist ein Brutschmarotzer." Bis zu 20 Eier verteilt ein Kuckucksweibchen pro Brutsaison, immer ein Ei pro Nest. Es drückt das Ei in wenigen Sekunden im fremden Nest heraus und wirft dann ein Ei der Wirtsvögel über Bord. Manchmal lenkt das Kuckucksmännchen die Wirtsvögel ab. Den Rest besorgt der junge Kuckuck. Aufgrund der kürzeren Brutzeit schlüpft er drei bis vier Tage früher als seine Stiefgeschwister. Ein Berührungsreflex treibt ihn dazu, alles, was sich im Nest befindet, rauszuschmeißen. Dann wird er allein großgezogen.
Dennoch ist der Kuckuck ein Sympathieträger. Ihn zu hören bringe Glück, lautet ein Sprichwort: "Wer Geld in der Tasche hat, wenn der Ruf ertönt, der hat das ganze Jahr keine materiellen Sorgen." Eine betagte Dame, der sich die Autorin dieses Textes sehr verbunden fühlte, hatte eine andere Weisheit parat. "Sooft der Kuckuck ruft, so viele Jahre habe ich noch zu leben", verkündete sie strahlend, als man sich, wie jedes Jahr im Sommer, im Garten in Brandenburg traf. Der Kuckuck hatte gerade zehnmal gerufen. Das war 2003. Es war ihr letzter Sommer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!