u-boot kursk: Hoher Preis für Nationalstolz
Ein Tag lang wehrte sich der KGB-Mann Wladimir Putin gegen die Vorstellung von ausländischen Experten, die an ein russisches U-Boot Hand anlegen. Am zweiten Tag quälte sich der Oberbefehlshaber der russische Armee, Wladimir Putin, mit dem Gedanken, nach einem Manöver ausgerechnet die gerade simulierten Feinde um Hilfe zu bitten. Am dritten Tag schüttelte es den russischen Präsidenten Wladimir Putin am ganzen Körper bei der Idee, Hilfe im Westen für die Rettung russischer Seeleute anfordern zu müssen. Am vierten Tag endlich stimmte der Urlauber Wladimir Putin zu.
Kommentarvon TOBIAS MÜNCHMEYER
Nun ist das kleine britische Wunder-U-Boot also unterwegs zur Unglücksstätte. Die Zeit rinnt dahin für die 118 Seeleute oder für jene von ihnen, die noch leben. Nationalstolz hat eben auch zu Friedenszeiten seinen Preis.
Die Katastrophe, die in der Barentssee ihren Lauf nimmt, kommt nicht überraschend. Die russische Nordmeerflotte und gerade ihr nuklearer Teil haben die Kola-Halbinsel binnen 45 Jahren in eine atomare Katastrophenregion verwandelt. Genosse Josef Stalin selbst hatte nur wenige Wochen vor seinem Tod den weisen Beschluss gefasst, eine atomare U-Boot-Flotte aufzubauen. Seither hat die Nordmeerflotte über 160 Atom-U-Boote in Betrieb genommen. An mögliche Probleme, die sich aus Verschrottung und Brennstoffentsorgung ergeben könnten, sind wenig Gedanken verschwendet worden:
17 Atomreaktoren, 7 davon mit abgebrannten Brennelementen, sind in der Karasee versenkt worden, 11.000 Kubikmeter festen Atommülls und 16.000 Tonnen flüssigen Atommülls sind bis 1991 ebenfalls in das Nordmeer gekippt worden. Brennelemente und Atommüll der Nordmeerflotte werden unter abenteuerlichen Bedingungen auf 11 überfüllten Deponien gelagert. Knapp 90 ausrangierte Boote, davon 52 noch mit abgebranntem Kernbrennstoff an Bord, rotten in den Häfen vor sich hin. Hinzu kommen die Unfälle: Die norwegische Umweltorganisation Bellona weiß von 3 gesunkenen U-Booten – vor der „Kursk“.
Im Mittelpunkt steht nun die Rettung der 118 Seeleute und nicht mehr die Wahrung militärischer Geheimnisse. Das Schicksal der Männer ist jedoch nicht nur von der Sauerstoffnot bedroht. Die Reaktoren können offensichtlich nicht mehr ausreichend gekühlt werden. Folge davon könnte eine Kernschmelze wie in Tschernobyl sein.
Der Autor ist Atomexperte bei Greenpeace International.
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