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türken ohne chancenEthnisches Subproletariat

Berlin grenzt seine Türken aus. Von den 130.000 türkischen Berlinern sind lediglich 30.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Gleichzeitig sind mehr als 20.000 ohne Job – was eine Arbeitslosenquote von 40 Prozent bedeutet. Das ergab eine Bilanz, die gestern vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg und der Ausländerbeauftragten vorgestellte wurde.

Kommentarvon EBERHARD SEIDEL

Man stelle sich das für ganz Deutschland vor: Dann gäbe es nicht 30 Millionen Erwerbstätige, sondern nur rund 20 Millionen. Und statt der knapp 4 Millionen Arbeitslosen wären es etwa 12 Millionen. Malen wir uns lieber nicht die sozialen Verwerfungen aus, das Maß an Radikalität und nationalem Chauvinismus, die mit einer solchen Realität verbunden wären. Es genügt, einen Blick in die so genannten national befreiten Zonen Ostdeutschlands zu werfen, um sich die Eskalation der Gewalt vorzustellen, wären die Deutschen mit solcher Hoffnungslosigkeit konfrontiert.

Es grenzt an ein Wunder, dass die türkische Community bis heute relativ gelassen und friedlich auf ihre soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung reagiert. Möglich ist das nur, da sie sich eigene, von der Mehrheitsgesellschaft unabhängige Strukturen geschaffen hat, die eine einigermaßen würdevolle Existenz zulassen. Sie reichen von einem regen sportlichen, kulturellen, politischen und religiösen Vereinsleben bis hin zu der Nischenökonomie der Kebab-Buden und Gemüseläden.

Die Nebenwirkungen dieser Entwicklung wurden hinreichend beklagt. Der Kontakt mit den Deutschen nimmt ab, damit auch die Sprachkompetenz. Folglich sinken die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings ist das ein Teufelskreis, der mit wohlfeilen Appellen, doch mal gefälligst Deutsch zu lernen oder mobiler zu sein, nicht so einfach zu durchbrechen ist. Denn jeder, der diese Netzwerke in der ethnischen Nische verlässt, geht ein unkalkulierbares Risiko ein.

Will die Politik ein ethnisch definiertes Subproletariat vermeiden, muss sie mehr bieten als Aufrufe zu Eigeninitiative. In den Sechziger- und Siebzigerjahren umwarb die Gesellschaft katholische Landmädels und Arbeiterjungs mit einer Bildungsoffensive. Die hat ein paar Mark gekostet – und war erfolgreich.

Kostengünstiger wird es auch diesmal nicht, es sei denn, man zieht sich auf die billige Ideologie zurück: der Türke und der Muslim sei an einer Integration in die deutsche Gesellschaft gar nicht interessiert.

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