tote spielen kein schach von RALF SOTSCHECK :
Wenn er Künstler ist, nennt er sich Oscar. Wenn er Schach spielt, heißt er Stuart. Auf beiden Gebieten ist er recht erfolgreich, auch wenn sich das bisher nicht in übermäßigem Reichtum bemerkbar gemacht hat. So muss er manchmal recht ulkige Jobs annehmen, wie neulich am St. Patrick’s Day, dem irischen Nationalfeiertag, als er im quietschgelben Overall und Walkie-Talkie in der Tasche für Ordnung in der Festparade sorgen sollte.
Was tun mit dem Lohn, immerhin 50 Pfund? Er konnte ein berauschendes Wochenende haben, wenn er das Geld an der Theke anlegte, oder er konnte drei nüchterne Tage bei einem Schachturnier verbringen und hoffen, dass er einen Geldpreis gewinnen würde, den er zügig an die Theke tragen konnte.
Stuart ist nicht nur Schotte, sondern auch Optimist, zumal er schon so manchen Preis beim Schach gewonnen hat, und so entschied er sich für das Turnier. Die Teilnahmegebühr betrug 50 Pfund, und damit war Stuart wieder so pleite wie vor dem St. Patrick’s Day. Aber wenn er auf den dritten Platz käme, hätte er zumindest drei Tage Schach gespielt und die Teilnahmegebühr wieder hereingeholt. Das war zu schaffen, unter der Konkurrenz (22 Männer und eine Frau) war kein Kasparow.
Als erster Gegner wurde ihm ein junger Mann aus Tipperary zugelost, der offenbar auf Räuberschach spezialisiert war. In kürzester Zeit hatten fünf schwarze und fünf weiße Bauern ins Gras gebissen, Springer, Turm und Läufer waren um die Hälfte dezimiert, auf dem Schachbrett herrschte gähnende Leere. Der ältere Herr am Nachbartisch, der gegen die einzige Teilnehmerin spielte und gerade mal zwei Bauern eingebüßt hatte, blickte immer wieder amüsiert herüber.
Dann kam Stuarts großer Augenblick: Mit einer Dame-Turm-Kombination bot er seinem Gegner Schach, die Frau am Nebentisch tat im selben Augenblick das Gleiche. Ihr Gegner war darauf offenbar nicht vorbereitet: Er starrte entgeistert auf das Spielbrett, griff sich ans Herz und sackte zusammen. Herzinfarkt – jede Hilfe kam zu spät, er war mausetot.
Nachdem die Leiche abtransportiert war, debattierten die übrig gebliebenen Spieler mit dem Turnierveranstalter, ob man weiterspielen solle. Stuart und die anderen, die sich einen Vorteil erspielt hatten, waren dafür, doch am Ende setzte sich die Pietät knapp durch. Das Turnier wurde abgebrochen. Stuart raufte sich die Haare. Eine halbe Stunde gespielt, und das ganze Geld war futsch. Man konnte von der Turnierleitung ja schlecht die Teilnahmegebühr zurückverlangen, das hätte einen schlechten Eindruck gemacht. Einer der Spieler tat es aber dennoch und erhielt seine 50 Pfund zurück. Da traute sich auch Stuart.
Als er das zurückerbeutete Geld später an der Theke in Flüssiges umsetzen wollte, traf er seinen Gegenspieler. Der hatte vier leere Gläser vor sich stehen und kippte gerade den fünften Whiskey hinunter. Was denn los sei, erkundigte sich Stuart. „Es ist furchtbar“, sagte der junge Mann aus Tipperary, „ich habe noch nie einen Menschen sterben sehen. Was aber noch viel schlimmer ist: Stell dir vor, da haben doch tatsächlich zwei Arschlöcher ihre Teilnahmegebühr zurückverlangt. Wie tief können Menschen sinken?“ Stuart nennt sich in Gegenwart von Schachspielern seitdem Oscar.
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