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theatertreffenTheater als Herausforderung

Unbemerkt von der Bevölkerung findet derzeit das 39. Theatertreffen in Berlin statt. Seit Jahren ein Markt der Eitelkeiten, was sich gern daran zeigt, dass schon kleine Kritik zu großem Widerspruch reizt. Reformansätze für das Event hecheln den ästhetischen Vorgaben von Film und virtueller Realität hinterher. Dass das Theater jedoch mit seinen ursprünglichen Qualitäten punkten müsste, wird der aftermath von Erfurt zeigen.

Kommentar von WALTRAUD SCHWAB

Was zeichnet Theater aus? Aristoteles gab vor mehr als 2000 Jahren eine Antwort. Der griechische Philosoph hat die karthartische Wirkung des Dramas beleuchtet. Theater erziehe dadurch, dass die Fehler der Protagonisten miterlebt würden. Durch Identifikation mit den Helden könne der Zuschauer vor eigenen Fehlern bewahrt werden.

Salopp dahergesagt mag das sein, aber wiederlegt hat selbst Brecht die aristotelischen Thesen nicht, obwohl er die Wirkung vom Herz in den Kopf verlegte. Nicht Mitgefühl, sondern die Distanz zum Gesehenen erziehe. Wie dem auch sei, beide wollten das Publikum sowohl unterhalten als auch belehren.

Seit dem Amoklauf von Erfurt wird viel über Gewalt in den Medien diskutiert. Kinder, deren imaginäres Ich als Spitze eines Gewehrs über den Bildschirm huscht, punkten, indem sie mit nie dagewesener Geschwindigkeit einen Feind nach dem anderen auslöschen. Der Getroffene löst sich im Virtuellen auf. Der flow müsse stimmen, sagen die Helden am Joystick. Gewalt wird nicht mehr als solche wahrgenommen.

Das jedoch ist nur die halbe Wahrheit. Was wirklich verloren geht, ist die Fähigkeit zum Mitgefühl. Dass hinter jeder Figur eigentlich eine Person und hinter jeder Person eine Geschichte steckt, interessiert nicht. Genau an dieser Stelle wäre das Theater gefragt. Nur leider ist es für viele Jugendliche vollkommen unattraktiv. Identifikation mit dem Helden auf der Bühne undenkbar. Das Theater, Massenspektakel bis zur Erfindung des Films, hat sich an die Wand gespielt und an die Wand spielen lassen.

Dass Inszenierungen jedoch als Massenspektakel auch heute noch funktionieren, hat die Trauerfeier auf den Domstufen in Erfurt gezeigt. Die Hauptakteure sind tot. Von Chören besungen, von Chronisten skizziert, durch Kerzen symbolisiert, wurden die Seelenqualen der Helden dennoch in Worten gespiegelt. Die 17. Kerze steht dabei für Kartharsis.

Warum werden Freitreppen nicht öfters für Inszenierungen benutzt, die die Dramen der Gegenwart beleuchten? Warum sind Theater nicht auch Jugendzentren? Solange die Bourgeoisie Angst hat, die Arenen ihres Auserwähltseins zu teilen, wird das Theatertreffen eine Angelegenheit bleiben, für die das Motto gilt: „Retten Sie Ihre Pfründen!“

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