terracottaschnecken und dreidochtkerzen:
von SUSANNE FISCHER
Inzwischen weiß jeder auf meinem Dorf, dass ich mir für gar nichts zu schade bin. Deswegen lud mich auch meine Nachbarin Julia umstandslos zum Kerzenabend ein, „weil so viele abgesagt haben.“ Flugs sagte ich zu, denn sie versprach Prosecco bis zum Abwinken, Brotchips und Knoblauchdip.
Julias ganze Familie war dann schon im Wohnzimmer um eine kleine Schüssel Knoblauchdip versammelt, als ich kam. Sie verfügt über drei Schwestern und mehrere Schwägerinnen, hat aber wie alle anderen Leute auch nur eine Mutter. Die gesamte Verwandtschaft ist bekannt für ihren guten Appetit. Ein Kerzenabend, das wurde mir bei einem Blick in die Runde klar, ist immer ein Damenabend. Überall im Raum zwischen den Frauen brannten Kerzen, auf einem Extratisch war sogar eine Etagere aufgebaut: Dort tummelten sich Glasfische, Terracottaschildkröten und andere merkwürdige Objekte, an denen Teelichter herumklebten. Man muss dazu wissen, dass es auf unserem Dorf Brauch ist, Frauen mit Dekorationsarbeiten zu beschäftigen. Sie meckern nämlich nicht so viel, wenn sie hin und wieder eine neue Schleife an ihrer gecrinkelten Tischdecke anbringen können.
Schon erhob sich eine der Schwägerinnen und öffnete ein Köfferchen. Natürlich war es dann gar keine Schwägerin, sondern die Kerzenvertreterin, die uns mit ihrem Angebot vertraut machen wollte und das auch umstandslos tat. Auch sagte sie uns gleich, wie viel wir bestellen müssten, damit Julia eine riesige, scheußliche Terracottaschnecke für beinahe umsonst bekommen würde. Sabine, die verzweifelt einen Ausweg zwischen gecrinkelten Square-Kerzen und nach Kirschen riechenden Teelichtern suchte, fragte, ob sie bis morgen Bedenkzeit haben könne. „Dann kann ich es Julia nicht mehr gutschreiben“, flötete die Vertreterin. Nebenbei verriet sie noch, dass sie erst neunzehn ist, aber schon eine anderthalbjährige Tochter hat. Gerührt bestellte ich einen scheußlichen Leuchter mit Blumenkranz. Ihre Tochter sei unglaublich niedlich und heiße Johanna. Da nahm ich auch noch das Windlicht aus Schmiedeeisen, mit dem man notfalls einen Kerzengießer erschlagen kann. Sabine entschied sich schließlich, den Tränen nahe, für ein Sechserset viereckiger Kerzen, „aber bloß nicht in Rosa“, und auch die anderen Damen deckten sich mit kleinen Vanille- und Maiglöckchenstinkern ein. Erleichtert wischten wir uns den Schweiß von der Stirn und schenkten Prosecco nach. Wir hatten Julias Ehre gerettet und Johanna eine neue Palette Hipp-Brei gesponsert. Aber wir waren noch nicht in Sicherheit. „Wer möchte denn als Nächste einen Kerzenabend veranstalten?“, zwitscherte Johannas Mutter. „Wenn zwei von euch unterschreiben, bekommt Julia diese wunderschöne, nach Ananas duftende Dreidochtkerze, die es nicht zu kaufen gibt!“ Ich sank betäubt unter das Sofa, wo Pflaumenaroma und Kokosrauch eine teuflische Verbindung eingegangen waren.
Ich war sehr froh, dass es die nach Ananas duftende Dreidochtkerze ganz bestimmt nicht zu kaufen gibt. Ich hätte sie auf jeden Fall genommen.
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