taz.berlin-Adventskalender (22): Nur die Gemeinschaft zählt
Wie beruhigend, mitten in Berlin ein Hausdorf zu haben. Und allen Widrigkeiten gemeinsam zu trotzen.
Vorweihnachtshektik, unter coronabedingten Masken noch anonymer, Begegnungen finden in Eile und mit Sicherheitsabstand statt. Und dann öffnet sich plötzlich doch manchmal eine Tür: eine freundliche Geste, eine Hilfeleistung, ein Gespräch. Die taz.berlin berichtet in ihrem Adventskalender 2021 von solchen Türchen, die die Anonymität einen Moment vergessen lassen.
Das war eine ziemlich beunruhigende Nachricht kurz vor Weihnachten: Unser Haus wird verkauft! Das Mietshaus, in dem ich wohne, ist eines dieser typischen innerstädtischen Berliner Altbauhäuser mit grünem Innenhof, Seitenflügel und Hinterhaus; schön, aber etwas heruntergekommen.
Dafür leben hier zum Teil noch Nachbar:innen, die schon in den 80ern als Studierende eingezogen sind: mit noch bezahlbaren alten Mietverträgen also. Allerdings liegt unser Haus in einer Gegend, in der die Gentrifizierung wütet. Luxussanierung oder gar die Umwandlung in Eigentumswohnungen droht nun also auch uns.
Aber dass ich das mit den Nachbarn weiß, die schon so lange hier wohnen, das verweist auf den beruhigenderen Teil der Geschichte. Die Nachricht über den Verkauf verbreitete sich schnell mithilfe der Whatsapp-Gruppe, die wir Bewohner:innen unseres Hauses bereits seit Langem haben. Fragen wurden da gestellt, Sorgen formuliert, Recherchen betrieben und Hilfswege erörtert. Und kurz darauf war schon eine erste Onlinebesprechung mit einer Mieterberaterin organisiert, die uns erklären konnte, was unsere Aussichten, vor allem aber unsere Handlungsmöglichkeiten sind.
Das ist tatsächlich ein sehr beruhigendes Gefühl: Wir sind eine Gemeinschaft. Da sind andere, Nachbar:innen in der Wohnung gegenüber oder schräg oben, die haben dieselben oder ähnliche Sorgen. Viele sind bereit, sich zu engagieren, mitzuhelfen, Schlimmes für die Mieter:innen hier abzuwenden. Aufgaben wurden verteilt, noch müssen wir die Mieter:innen, die noch nicht in der Gruppe sind, auf anderen Wegen informieren und einbeziehen. Keine:r muss sich allein sorgen, allein handeln. Das hilft.
Die Whatsapp-Gruppe verdanken wir übrigens einem Mitbewohner, der leider kürzlich ausgezogen ist, ein liebenswerter Südtiroler. Während er hier wohnte, hat er Nachbarschaft hergestellt: mit Hoffesten, Kümmern um Missstände wie verwildernde Pflanzen – oder einfach mit viel Freundlichkeit und Plaudereien im Hausflur. So lernten wir, die teils schon viel länger als er hier wohnten, uns untereinander besser kennen.
Wie gut das ist, so ein Hausdorf in der gentrifizierten Großstadt! Zu unserem nächsten Hoffest laden wir ihn ganz bestimmt ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin