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taz-adventskalender „24 stunden“ (17)17 Uhr auf dem Weihnachtsrummel

Rummelplatz im Niemandsland: Mit besinnlichem Weihnachts-Brimborium hält sich der „Berliner Wintertraum“ in Niederschöneweide gar nicht lange auf.

Ein echter Weggucker: „Mr. Frosti“ beim „Berliner Wintertraum“ in Niederschöneweide Foto: Rainer Rutz

Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 17 Uhr auf einem Rummelplatz in Niederschöneweide.

Der „Berliner Wintertraum“ ist weder winterlich noch verträumt, sondern in erster Linie ein Rummel und an diesem Nachmittag ein wenig trostlos. Was mit am schauderhaften Dauernieselregen liegt. Um 17 Uhr ist die neueste „große Weihnachtsattraktion“ des Bezirks Treptow-Köpenick dann auch nur mittelmäßig besucht.

„Hier sieht man, wie schön die dunkle Jahreszeit ist, es leuchtet, es duftet“, hatte Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD) vor gut einem Monat bei der Eröffnung des Jahrmarkts an der unwirtlichen Schnellerstraße im Ortsteil Niederschöneweide gesagt. Womit Igel immerhin recht hat: Es blinkt und leuchtet überall, wie es sich für einen Jahrmarkt gehört.

Und weil Weihnachten ist, gibt es dazu noch die unvermeidliche Weihnachtsschlager-Beschallung, den ebenso unvermeidlichen Glühwein (zu nahezu bodenständigen 4 Euro das Glas) und alle paar Meter eher lustlos neben die Buden geklatschte Weihnachtsbäume.

Gut gelauntes Publikum

Zwar stehen sich aufgrund des überschaubaren Andrangs nicht wenige Mitarbeiter:in­nen der rund 50 Geschäfte und Stände die Beine in den Bauch und in etlichen Kassenhäuschen herrscht gepflegte Langeweile.

Doch auch hier gibt es Ausnahmen – mit unübersehbar gut gelaunten Familien mit kleinen Kindern und lauten Jugendlichengruppen. Die sorgen etwa dafür, dass es beim Autoscooter knallvoll ist.

Auch die Gewinnspielbuden erfreuen sich – sofern überdacht – größerer Beliebtheit. Bei den Achterbahnen „Crazy Worm“ und „Crazy Mine“ wird fleißig gekreischt. Wie überhaupt bei allem, was sich schnell dreht, fährt, hoch- und runtergeht, geschrien wird. Ansonsten wird vor allem viel geschlendert.

Da die Gesamtfläche nicht sonderlich groß ist, hat es sich schnell ausgeschlendert. In weniger als zehn Minuten sediertesten Trödelschritts steht man wieder am Eingang bei „Mr. Frosti“, dem, so die „Wintertraum“-Werbung, „größten Weihnachtswichtel Berlins, der mit seinen zehn Metern alle Blicke auf sich zieht“. Die meisten Be­su­che­r:in­nen laufen achtlos an der unförmigen Riesenfigur mit den vielen kleinen Lichtern vorbei.

Fahrgeschäfte statt Schrottautos

Der Rummelplatz im Niemandsland zwischen Schnellerstraße und Spree gehörte zu DDR-Zeiten zum Betriebsgelände des VEB Kali-Chemie und war fast flächendeckend mit Cyaniden und Arsen verseucht. Aus unerfindlichen Gründen musste die Lacke- und Farben-Fabrik Ende 1990 schließen.

Später war das Areal dann ein Zuhause für Schrottautos. Angeblich sollen die Händ­le­r:in­nen beim Ausfüllen ihrer Steuererklärungen eine gewisse Lässigkeit an den Tag gelegt haben. BKA, Zoll und Einsatzhundertschaften schauten regelmäßig vorbei. Nach der letzten Razzia 2022 war Schicht im Handelsschacht.

Nun hofft der Bezirk Treptow-Köpenick, dass dank des Weihnachtsrummels „aus dem Schandfleck ein neues Wahrzeichen geworden“ ist, wie Bürgermeister Oliver Igel in etwas überambitionierter Glühweinlaune bei der Eröffnung erklärte.

Als besonders wahrzeichenhaft bewarb Igel bei der Gelegenheit den „Mission Impossible Tower“: einen 85 Meter hohen Turm mit einer ringförmig angeordneten Sitzgruppe, die bis zur Spitze hochgezogen wird und dann in freiem Fall heruntersaust.

Und tatsächlich ist der Turm schon von weitem zu sehen. Zumal die „Hauptattraktion“ gefühlt noch mal heller leuchtet und nervöser blinkt als alle anderen Fahrgeschäfte und „Mr. Frosti“ zusammen. Bedauerlicherweise saust hier an diesem Nachmittag gar nichts. Der Tower ist dicht. „Wegen Wind, ist windig da oben“, sagt der kundige Gebrannte-Mandeln-Verkäufer gegenüber. Treptow-Köpenicks neues Wahrzeichen scheint wetterfühlig zu sein.

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1 Kommentar

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  • Zweimal am Tag radle ich dort vorbei, morgens in der Dunkelheit und am Nachmittag kurz vor der Dämmerung, wenn die nervösen LED-Lichtlein blinken und zucken und der Duft gerösteter, in Zucker ertränkter Naschereien über die Minna-Todenhagen-Brücke weht ... ist schon irgendwie schön, so aus der Ferne, der süße Duft auf der letzten steilen Anstrengung auf dem Heimweg in der Nase und die ersten Familien und Jugendgruppen, die mir freudestrahlend entgegenlaufen, wenn ich in die Köpenicker Landstraße einbiege.

    Ja, ich freue mich für alle, die daran ihre Freude haben, einfach mit, auch wenn mich dort keine neun Pferde zum Besuch hingezerrt bekämen.

    Frohes Fest schonmal!