taz-Serie Neues Soziales Bauen (4): Jeder für sich und alle zusammen
Eigentlich wollte die Kreuzberger Baugruppe eine Genossenschaft gründen. Jetzt entstehen in der Ritterstraße doch Eigentumswohnungen. Die gemeinschaftliche Idee bleibt aber, sagen die Mitglieder - und die Stadt profitiert auch.
Die Ansprüche waren groß: Eine Genossenschaft wollten sie gründen, die künftigen Nutzer der Ritterstraße 50, denn Eigentumsbildung ist ihnen eigentlich fremd. Ein Haus wollten sie bauen, das nicht nur die Summe seiner Wohnungen ist, sondern ein gemeinschaftlicher Raum. Die Kosten senken, damit nicht nur Erben und Gutverdiener darin wohnen können. Im Jahr 2009 bewarb sich die zunächst zehn Mitglieder zählende Baugruppe beim Liegenschaftsfonds um das Kreuzberger Grundstück - mit Erfolg. Was ist heute von den Ansprüchen geblieben?
Jesko Fezer und Christoph Schmidt sitzen im Büro der Architektengruppe ifau, gerade haben sie das Modell des Gemeinschaftsraums aus Styropor gebaut, Schmidt hält eine Lampe, Fezer fotografiert das Interieur. "Wir hätten statt eines zweigeschossigen Gemeinschaftsraums auch eine Wohnung mehr bauen können", sagt Schmidt. "Das Gemeinsame am Projekt ist uns aber wichtiger." So kann im künftigen Mittelpunkt der "R50" gemeinsam gekocht, gearbeitet, gespielt oder gechillt werden.
Überhaupt, die Gruppe: Wie sich die neuen Bewohnerinnen und Bewohner - inzwischen auf 19 Parteien angewachsen - über ihre individuellen und gemeinschaftlichen Vorstellungen vom Wohnen verständigten, hat die R50-Planergemeinschaft ifau und Jesko Fezer / Heide & von Beckerath in einer Beilage der Architekturzeitschrift Arch+ öffentlich gemacht.
In Berlin wird Wohnraum knapp. Neubau tut not. Doch der soziale Wohnungsbau ist Geschichte. Viel zu teuer wurde in den 80ern und 90ern gebaut, die Subventionen landeten meist bei den Investoren. Wie aber kann man sozialverträglich bauen? Die taz erkundet in ihrer Serie Projekte, die das Bauen in der Stadt verändern können. In Teil 1 (4. 5.) ging es um einen günstigen Neubau für das Mietshäuser-Syndikat, in Teil 2 (11. 5.) um ein Bauprojekt im Bergmann-Kiez, in Teil 3 (18. 5.) um einen Neubau der Berolina-Genossenschaft.
Zunächst erstellten die Planer sogenannte Wohnreporte. Dabei wurden mittels grafischer Methoden Wohnbedürfnisse und schließlich "Formate des Wohnens" formuliert. "Ziel war es, Standards zu entwickeln, die für das ganze Haus gelten", sagt Jesko Fezer, Architekt und selbst Mitglied der Baugruppe. Das Ergebnis: ein siebenstöckiges, "einfaches" Haus mit 19 Wohnungen, bei dem die Kosten mit knapp 2.000 Euro pro Quadratmeter - inklusive Gemeinschaftsflächen - vergleichsweise niedrig sind.
Am Ende werden aus den Möchtegern-Genossen allerdings doch Eigentümer, und das hat Gründe: Da die Baukosten bei beiden Modellen gleich sind, erklärt Ifau-Architekt Christoph Schmidt, wären ohne externe Förderung auch das Eigenkapital - und damit die Einstiegsschwelle - sowie die monatlichen Belastungen gleich hoch gewesen. "Eine Genossenschaft scheint unter den gegenwärtigen Bedingungen für ein Einhausprojekt kaum direkte soziale Vorteile zu bringen", lautet Schmidts Fazit.
Um Missverständnisse zu vermeiden, haben sich Jesko Fezer und das Architekturbüro ifau aber auch grundsätzlich zum Thema Stadtentwicklung, Gentrifizierung und Baugruppen geäußert. So spielten Baugruppen einerseits der Politik des Senats in die Hände, der auf eine wirkungsvolle Mietenpolitik verzichte: "Hier besteht durchaus eine politisch gewollte Situation, die zum Eigentum drängt."
Andererseits sei es gerade der selbst initiierte Wohnungsbau, der längerfristig das Leben in der Innenstadt ermögliche. "Baugruppen, die einerseits als Eroberer städtischen Territoriums wahrgenommen und kritisiert werden können", heißt es in der Beilage zu Arch+, "sind andererseits auch von dem Anspruch getrieben, ihre Teilhabe in Aufwertungsdruck ausgesetzten Vierteln zu verteidigen." Einfacher gesagt: "Wenn ich mich anderswo gerade der 10-Euro-warm-Marke nähere, kann ich das Geld auch in eine Baugruppe investieren", so Christoph Heinemann von ifau.
Freiraum für die Stadt
Das, was die Baugruppe von der öffentlichen Hand über das "Festpreisverfahren" beim Liegenschaftsfonds bekommen hat, will sie der Stadt in Gestalt des Freiraums wieder zurückgeben: Die Freifläche des 2.000 Quadratmeter großen Grundstücks rund um das kompakte Haus soll nicht abgezäunt werden, sondern sich zur Stadt öffnen.
Zugleich ist das Grün ums Haus der Grund, warum die Baugruppe auf teure Balkone verzichtet. "Allerdings wird es auf jeder Etage einen Umlauf geben", verrät Architektin Susanne Heiß. "Damit kann jeder von jedem Zimmer nach außen treten und sich so den Außenraum in die Wohnung holen."
So passt die Ritterstraße 50 gut ins "Arm, aber sexy"-Berlin - als Projekt, das den Werbeslogan des Regierenden Bürgermeisters um die Maxime "günstig, aber sozial" ergänzt.
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