taz-Serie Nah am Wasser: Zu wenig im Fluss

Die Panke, Berlins viertgrößter Fluss, könnte viel für den Klima- und Artenschutz tun. Doch die längst beschlossene Renaturierung kommt nur zäh voran.

Wo ist das Wasser hin? Ein Kind steht im ausgetrockneten Flussbett der Panke in der Gemeinde Panketal Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz | An der Luisen-Bibliothek im Wedding hat sie das meiste bereits hinter sich: Nur noch wenige Kilometer trennen die Panke von ihrem Ziel, dem Nordhafen-Vorbecken gegenüber der Europacity. 29 Kilometer ist das Flüsschen lang, es entspringt im Barnim bei Bernau, knapp 18 Kilometer verlaufen auf Berliner Stadtgebiet. Es ist kein leichter Weg: Eingezwängt in Beton und Spundwände, begradigt und mit Wehren gespickt, ist die Panke „stark durch den Menschen umgestaltet“, wie die Senatsumweltverwaltung formuliert. Das „ökologische Potenzial“ werde leider nicht ausgeschöpft. Man könnte sagen: ein Problemfluss.

Auch wenn die Panke klein ist, viel kleiner als die Spree: Egal ist das nicht. Für die Biodiversität in der Stadt hat sie eine Bedeutung, die in Zeiten von Dürresommern sogar zunimmt. „Die Stadt vertrocknet“, sagt Tobias Krüger, Hydrologe an der Humboldt-Universität – und Gewässer wie die Panke könnten helfen, das zu verhindern. Dazu müssten allerdings Renaturierungspläne, die vor mehr als 10 Jahren angestoßen wurden, endlich umgesetzt werden.

Krüger steht auf dem Fußgängerbrückchen, das neben der Bibliothek die etwa drei Meter Wasser überspannt. Am Ufer gegenüber steht eines der alten Mühlengebäude, die im 19. Jahrhundert die Panke säumten. Heute beherbergt das unscheinbaren Gebäude Büros. Eine Böschung gibt es nicht: Die gemauerte Kanalwand geht direkt in die Hauswand über.

Krüger, der auch Flussspaziergänge an Panke und Spree leitet, deutet auf das Stein gewordene Ufer: „Man hat hier glatte Wände, ein gleichförmiges Flussbett ohne Kiesel, es gibt wenig Schatten.“ Für die Artenvielfalt, für die wenigen Fischarten, die es hier noch gibt, sei das schlecht. Tatsächlich sieht man, wenn man ins sacht strudelnde Wasser blickt: nackten Grund, ein paar grobe Steine, Müll.

Wasser Berlin liegt am Fluss, die Spree fließt mittendurch, und ganz im Westen dann die Havel. Trotzdem kämpft auch Berlin mit den Folgen des Klimawandels: heiße Sommer, durstende Straßenbäume, verdorrte Grünflächen.

Krise Wie geht die Stadt damit um, dass Wasser ein immer knapperes Gut wird? Welche innovativen Konzepte gibt es, von Regenwasserbewirtschaftung für Friedhöfe bis zur Renaturierung von einst begradigten Flussauen? An dieser Stelle beschäftigen wir uns regelmäßig mit diesem einen Thema, das uns alle betrifft: dem Wasser. Alle Folgen online unter taz.de/berlin/wasser. (taz)

Die Pläne, das zu ändern, datieren im Wesentlichen von 2010. Ein Jahrzehnt zuvor, im Dezember 2000, war die Europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) in Kraft getreten. Sie soll die Wasserpolitik der EU vereinheitlichen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich unter anderem, bis spätestens 2027 alle Gewässer in einen „guten ökologischen und guten chemischen Zustand“ zu bringen.

Davon ist die Panke weit entfernt, sagt Reinhard Hinkelmann von der TU Berlin, der die Renaturierungspläne ab 2010 mitkonzipiert hat. Der Experte für Wasserwirtschaft erklärt, der Fluss werde als „erheblich veränderter Wasserkörper“ eingestuft – dabei gehe es nicht mehr um einen „guten ökologischen Zustand“, sondern nur um „ein gutes ökologisches Potenzial“. Mit anderen Worten: Man versucht zu retten, was zu retten ist.

Das Planwerk unter dem Motto „Die Panke 2015 – ein Bach wird naturnah“ unterteilte den Fluss in 16 Planungsabschnitte. Sie legten dar, wie sich die Panke durch den Schlosspark Niederschönhausen mäandern könnte, stellten die Wiederansiedlung von Teichmuscheln und Wasserschwertlilien in Aussicht. Für den Abschnitt an der Luisen-Bibliothek sahen sie eine „Mindesthabitatausstattung“ vor: Sandbänke, kleine Inseln aus Steinen und Totholz. 2015 verschwanden die Pläne jedoch weitestgehend in der Schublade.

„Damals wurden im Wasserwerk Tegel Rückstände des Arzneimittels Gabapentin gefunden“, berichtet Reinhard Hinkelmann. Man stellte fest, dass sie aus der Kläranlage Schönerlinde kamen, deren gereinigtes Abwasser über den Blankenfelder und den Nordgraben in den Tegeler See geleitet wird. „Eine Entfernung solcher Rückstände war in Kläranlagen nicht möglich.“ Um die Wasserversorgung nicht zu gefährden, wurden die Schönerlinder Abwässer fortan in die Panke geleitet. Das aber führte zu einer erheblichen Erhöhung der Wasserstände. „Dafür waren die Renaturierungsmaßnahmen nicht ausgelegt“, sagt Hinkelmann, „man hätte sie neu berechnen müssen.“

Lediglich zwei Fischaufstiegshilfen wurden realisiert, in den Schlossparks Buch und Niederschönhausen. Seit letztem Herbst wird zudem das Nordhafen-Vorbecken entschlammt und eine Wanderhilfe eingebaut, mit der Fische die gut 2,50 Höhenmeter Unterschied zum Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal passieren können. „Aktuell bewegt sich die Maßnahme im geplanten Zeit- und Kostenrahmen“, heißt es aus der Senatsverwaltung. Die Fertigstellung sei bis Mitte 2023 vorgesehen.

Auch in den Pölnitzwiesen tut sich etwas: Auf einem 3,5 Kilometer langen Abschnitt nördlich der A10 bei Karow bis an die Landesgrenze soll die Panke „naturnah“ werden – durch Verlegung und Verbreiterung des Flussbetts. Der Start der Baumaßnahmen ist für „spätestens Anfang 2023“ anvisiert. Die Renaturierungspläne seien übrigens keineswegs vergessen, so ein Sprecher der Umweltverwaltung, vielmehr habe man sie „in weiteren Planungsschritten konkretisiert“. Tatsächlich gibt es seit September 2019 einen „Planfeststellungsbeschluss Ausbau der Panke Phase II“.

Foto: taz-Grafik: infotext-berlin.de/A.E.

Verena Fehlenberg stellt das nicht zufrieden. Sie koordiniert die Berliner Wassernetz-Initiative von Umweltverbänden wie BUND und Nabu. „Gerade im Oberlauf der Panke, der nicht vom Schönerlinde-Problem betroffen ist, könnte man schon viel weiter sein“, sagt sie.

Inzwischen hat sich die Wasserqualität im Unterlauf, also in den Bezirken Pankow und Mitte, sogar noch verschlechtert: Ein Wasserzustandsbericht der Umweltverwaltung vom Dezember 2021 stuft die Panke in die zweitschlechteste Kategorie – „unbefriedigend“ – ein. Ein Hauptgrund: die steigende Nährstoffbelastung, die auch durch Starkregenereignisse verursacht wird. „Hier spiegeln sich die erheblichen Strukturdefizite durch Begradigung, Abflusssteuerung und urbane Nutzung wider“, heißt es im Bericht.

„Wir müssen konsequenter Flächen entsiegeln“, sagt Verena Fehlenberg. „Wenn Regen fällt, nutzen wir dieses Wasser zum einen noch nicht genug, zum anderen fließt es teils ungereinigt über die Kanalisation in den Fluss.“ Darin enthaltene Nährstoffe wie Phosphor sorgten für ein „Düngephänomen“, das Algen wachsen lässt und Fischen sowie Kleinstlebewesen den Sauerstoff nimmt. Eine „Netto-Null-Versiegelung“ – sprich: genauso viel Stadtfläche wird entsiegelt wie zubetoniert – sieht der rot-grün-rote Koalitionsvertrag erst für 2030 vor.

„Man hat in der Stadt vergleichsweise wenig Möglichkeiten, einen Fluss zu renaturieren“, sagt HU-Wasserexperte Krüger. Die, die man habe, müsse man aber viel besser nutzen. Er zeigt auf das Gebüsch am Uferweg zwischen Osloer und Badstraße: „Hier könnte man beispielsweise die Struktur zugunsten einer sanft ansteigenden Böschung verändern“, erläutert er. „Der Fluss könnte sich ausbreiten und Mäander bilden.“ Das dauere nur wenige Jahre.

Mäander sind gut, um das wertvolle Regenwasser im Boden zu halten, wie auch Verena Fehlenberg fordert – das vielzitierte Prinzip „Schwammstadt“. „Würde der Fluss langsamer fließen, hätte das Wasser mehr Zeit, im Boden zu versickern“, erklärt Krüger. „Den Bäumen und Pflanzen würde das extrem helfen.“ Und auch die Bildung von Grundwasser würde es positiv beeinflussen. Das ist in Berlin zwar noch immer reichlich vorhanden, denn Spree und Havel tragen über ihr Uferfiltrat zu einem halbwegs stabilen Spiegel bei. Aber auch die Panke ist mit dem oberen Grundwasserleiter verbunden.

Verena Fehlenberg, BUND

„Wir müssen konsequenter Flächen entsiegeln“

„Früher wollte man das Wasser schnell aus der Stadt heraus haben“, erklärt Krüger. „Nicht so sehr wegen Hochwassergefahr, sondern weil es so verschmutzt war.“ Zahlreiche Mühlen und Gerbereien säumten im 19. Jahrhundert die Ufer. Der Fluss war quasi ein Abwasserkanal, sagt Krüger. Also begradigte man ihn, denn die Brühe sollte möglichst schnell raus aus der Stadt. Das wiederum ermöglichte eine dichtere Uferbebauung, die nun die Renaturierung erschwert. Denn natürlich braucht ein mäandrierender Fluss Platz.

Planer Hinkelmann sagt, man müsse eben pragmatisch sehen, was umsetzbar ist: Sandbänke oder Inseln aus Totholz seien relativ schnell umsetzbar, ohne Flächenkonflikte zu provozieren. Und 2027 soll das Klärwerk Schönerlinde in der Lage sein, auch Arzneimittelrückstände aus dem Wasser zu filtern. Dann gibt es wieder etwas Hoffnung, dass bei der Panke etwas in Fluss kommt.

Exkursion Am Sonntag, 11. 9., veranstaltet das Berliner Aktionsnetzwerk Kleingewässer von 11 Uhr bis 13 Uhr einen Panke-Spaziergang. Auch eine „biologische Gewässergütebestimmung“ wird durchgeführt. Treffpunkt: An der Pankgrafenbrücke in Karow.

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