taz-Serie Berliner Bezirke (12): Reinickendorf: Der Schandfleck
Im Herzen von Reinickendorf liegt seine peinlichste Investitionsruine: die Insel im Tegeler Hafen. Seit 25 Jahren bereitet sie allen Kopfzerbrechen.
Natürlich kommen Leute, die fragen, was das soll. Ob das immer so aussieht. Für die hält Gabi Zbierski in einem blauen Ordner Presseausschnitte über die Insel bereit. Den Schandfleck. Dabei preist Zbierski, die am Infoschalter des Bezirksamts in der Humboldt-Bibliothek Touristen berät, lieber die Vorzüge von Tegel: das Grün, das Wasser, die Parkanlagen. "Schauen Sie mal", sie zeigt aus dem Fenster auf Trimm-dich-Geräte, "die hat der Bezirk neu für Senioren aufgestellt."
Und es stimmt: Der Reinickendorfer Ortsteil Tegel, unter Innenstadt-Hipstern als spießig verlacht oder gänzlich unbekannt, ist unverschämt erholsam. Wer hier lebt, macht irgendwie immer ein bisschen Urlaub. Ein weiter See voller Ausflugsschiffe, ein Wald voller Wildschweine, die Autobahn tief unten im Tunnel. In der Fußgängerzone von Alt-Tegel staunen Besucher über die höchste Eisdielendichte Berlins. Nur mittendrin, wo es am schönsten sein könnte, liegt im Tegeler Hafen die Insel.
"Geisterinsel" wird sie genannt, aber das klingt zu romantisch. Viel mehr als Erdaushub und Spontanvegetation gibt es hier nicht. Nur am westlichen Ende des künstlichen Eilands, das fast genau einen Hektar misst, ragen unfertige Mauern auf. Die Zugänge, drei Fußgängerbrücken, sind mit Bauzäunen versperrt. Seit Jahren.
Am 18. September wird in Berlin gewählt, und zwar nicht nur das Abgeordnetenhaus und damit der Senat, sondern auch in den zwölf Bezirken. Die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV), die vor allem die Aufgabe haben, das jeweilige Bezirksamt samt Bürgermeister zu wählen und zu kontrollieren, bestehen aus je 55 Bezirksverordneten. Zu den Wahlen treten die etablierten Parteien an, in manchen Bezirken sind auch kleinere Parteien wie Die Grauen, die WASG oder die NPD in der BVV vertreten.
Ein Blick in die Berliner Bezirke lohnt, weil viele der Themen, die berlinweit diskutiert werden, an der Basis vor Ort konkret werden. Wie der Bezirk Lichtenberg mit Kulturpolitik sein Image aufpoliert, könnte andere Problemkieze anregen. In Köpenick gibt es Streit über die Wiederbelebung der Altstadtinsel. In Spandau landen immer mehr Gentrifizierungsverlierer aus den teuren Innenstadtkiezen. Und im Neuköllner Süden Rudow ist die Welt überraschend in Ordnung.
Mit diesem Text über Reinickendorf endet unsere Serie.
Die anderen Texte finden Sie hier: Lichtenberg, Pankow, Marzahn-Hellersdorf, Charlottenburg-Wilmersdorf, Steglitz-Zehlendorf, Neukölln, Mitte, Treptow-Köpenick, Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Spandau
Der Schöpfer der Insel hatte sich das anders gedacht: Charles Moore, Architekt der Postmoderne, plante im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984 eine "Stadtlandschaft" für den ehemaligen Hafen. Errichtet wurden am Ende nur der eklektizistische Langbau der Bibliothek und eine Wohnzeile am Südufer. Ungebaut blieb unter anderem das Herzstück: ein Freizeitzentrum auf dem Wasser. Dieses, so der Architekt damals, "hat die Form einer kleinen Insel oder eines großen Dampfers und bildet eine innere und eine äußere Landschaft mit geheizten Bädern, Wasserfällen, Stränden und Gärten". Daraus wurde nichts: Mauerfall und Subventionsabbau machten dem Insel-Traumschiff den Garaus.
Nur die Bäume, die man zur IBA provisorisch gepflanzt hatte, gediehen prächtig. Wasserfälle gab es keine, aber eine schattige Wiese, auf der Anwohner ihre Hunde ausführten. Später fanden hier Open-Air-Lesungen statt, die Hunderte anlockten. 2002 übertrug der Bezirk Reinickendorf die brachliegenden Grundstücke an den Liegenschaftsfonds. Der verkaufte die "Tegeler Insel". Später landete sie im Portfolio einer russischen Fondsgesellschaft. Die ließ im Sommer 2008 die Insel roden. Villen für Diplomaten sollten entstehen, mit 500 Quadratmetern Wohnfläche. Stattdessen kam die Finanzkrise. Im November 2008 wurden die Bauarbeiter abgezogen. Versprechen, das Projekt wiederaufzunehmen, hielt der Investor nicht ein.
Was Uwe Brockhausen, den SPD-Fraktionsvorsitzenden in der Reinickendorfer Bezirksverordnetenversammlung (BVV), besonders am "Schandfleck Tegeler Insel" stört: Mit Beginn der Bauarbeiten ist die öffentliche "Durchwegung" verloren gegangen. Fußgänger müssen teilweise beachtliche Umwege nehmen, um auf die andere Hafenseite, etwa zur Bibliothek, zu gelangen. Das CDU-geführte Bezirksamt, findet Brockhausen, hat sich vom Investor über den Tisch ziehen lassen: "Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist inakzeptabel, das hätte vertraglich anders geregelt werden müssen." Entsprechende Anträge habe seine Fraktion in die BVV eingebracht und will es weiterhin tun. "Darüber hinaus haben wir das Bezirksamt aufgefordert zu berichten, zu welchen Bedingungen der Investor an einem Weiterverkauf interessiert ist, damit Bewegung in die Angelegenheit kommt", so Brockhausen.
"Reinickendorf ist liebenswert. Deshalb fühlen wir uns hier wohl", verspricht das CDU-Plakat. Es zeigt einen Hundewelpen, der mit einem Kätzchen busselt. Wer so wirbt, steht nicht unter Druck. Oder die Zielgruppe ist nicht die Jüngste. Auf Reinickendorf trifft beides zu: Es ist eine Hochburg der Christdemokraten, die 2006 hier 41,0 Prozent der Stimmen für die BVV holten. Und es ist ein alter Bezirk: Nirgendwo sonst in Berlin schnitten die Grauen bei den letzten Wahlen besser ab.
Bürgermeister Frank Balzer, der 2009 seine langjährige Vorgängerin Marlies Wanjura beerbte, braucht sich also nicht ernsthaft um seinen Posten zu sorgen. Seine Partei und die deutlich schwächere SPD (2006: 28,6 Prozent) werden sich das Bezirksamt weiter aufteilen - es sei denn, die Grünen (7,5 Prozent) legen deutlich zu. Für die Linke (2,6 Prozent) ist der schwarze Riese im Nordwesten verlorenes Terrain.
"Wir stehen erfolgreich da", sagt Stephan Schmidt, Sprecher der Reinickendorfer CDU und Mitglied der BVV-Fraktion, "insofern sind wir frohen Mutes, dass wir das am 18. September honoriert bekommen." Wenn der 37-Jährige eine Bilanz der CDU-Arbeit zieht, spricht er zuerst über das gepflegte Erscheinungsbild des Bezirks. Über das Freizeitprogramm für Senioren, die Förderung von Sportvereinen. Und darüber, dass Reinickendorf in den letzten Jahren zweimal von der IHK zum "wirtschaftsfreundlichsten Bezirk" ausgezeichnet wurde. Mit dem Bauberatungszentrum und der Zentralen Anlauf- und Koordinierungsstelle (ZAK) rolle der Bezirk Bauherren und Investoren den roten Teppich aus. Als größte Herausforderung nennt Schmidt die Nachnutzung des Flughafens Tegel, wo möglichst viele Arbeitsplätze für den Bezirk entstehen sollen: "Hier ergreift Reinickendorf die Initiative gegenüber dem Senat."
Wenig hält die Reinickendorfer CDU von der Senatslinie in Sachen Bildung. Im Märkischen Viertel haben Schulstadträtin Katrin Schultze-Berndt und die CDU-Mehrheit in der BVV Anfang des Jahres die Zusammenlegung zweier Schulen zur Gemeinschaftsschule verhindert.
SPD-Spitzenkandidat Andreas Höhne ist empört, dass sich die CDU hier "über den Wunsch von Schülern, Eltern und Lehrern sowie die Beschlüsse aller Schul- und Bezirksgremien und aller anderen Parteien hinwegsetzt". Sollte der derzeitige Stadtrat für Jugend und Familie das Rennen machen, bekäme nicht nur die Gemeinschaftsschule eine neue Chance. Höhne will die Angebote für Kinder und Jugendliche im Bezirk erhalten und stärken: "Vorfahrt für Jugend- und Bildungspolitik", fordert er.
Auch um Reinickendorfs soziale Brennpunkte will sich die SPD stärker kümmern, so Höhne. Gleichzeitig soll die Wirtschaftsförderung "wieder zur Chefsache" werden. Ohne Wirtschaft geht es im Bezirk eben nicht. CLP
Laut Baustadtrat Martin Lambert (CDU) ist es schon so weit: Bei einem Gespräch im Bauberatungszentrum des Bezirks habe der russische Eigentümer jüngst Interesse bekundet, sich von der Insel zu trennen - auch unter Preis. Es handele sich um sein "letztes Objekt außerhalb des Raums Moskau", der Anreiz, es abzustoßen, sei groß. Auf der anderen Seite prüfe ein "potenzieller Investor" bereits den Bebauungsplan. Namen will Lambert noch nicht nennen.
Dass die Tegeler Insel öffentlich zugänglich bleibt, dafür will das Bezirksamt unbedingt sorgen, so der Stadtrat. Aber erst, wenn die Bebauung abgeschlossen ist. "Wir haben mit den Anwohnern lange diskutiert, ob die Zugänglichkeit auch jetzt herstellbar ist", sagt Lambert, "aber das geht nicht." Er sei "froh, dass die Baustelle abgeschlossen ist", die Unfallgefahr sei zu groß. Jugendliche könnten sich mit verbliebenem Material verletzen.
Vor einer unkontrollierten Zwischennutzung graut es auch Dirk Steffel (CDU), der als Vertreter des Tegeler Ortsverbands in der BVV sitzt: "Ob die Anwohner lieber eine öffentliche Insel mit trinkenden und lärmenden Jugendlichen haben wollen, ist fraglich." Hintergrund seiner Sorge dürfte das berüchtigte "Chillen" in der Fußgängerzone sein, wo Jugendliche in Sommernächten zu Hunderten Alkohol konsumieren.
"Platt und polemisch" findet Heiner von Marschall dieses Argument: "Das Problem alkoholisierter Jugendlicher in der Öffentlichkeit löse ich nicht damit, dass ich sämtliche öffentlich zugänglichen Orte schließe oder gar nicht erst gestalte", sagt der Grünen-Bezirksverordnete. Weil auch die Grünen wissen, dass ein Rückkauf der Insel illusorisch ist, wollen sie sich wenigstens für die Durchwegung einsetzen. Der Bezirk solle "alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, auf die Eigentümer Druck zu erzeugen".
Den entscheidenden Fehler hat das CDU-geführte Bezirksamt aus Marschalls Sicht mit der Übertragung des Grundstücks an den Liegenschaftsfonds gemacht. "Damit hat der Bezirk seine aktiven Gestaltungsmöglichkeiten verloren und kann nur noch über die Ausgestaltung von Bebauungsplänen und städtebaulichen Verträgen reagieren." Hier sieht der Grüne schon den nächsten Konflikt: Für die ebenfalls privatisierte "Festlandfläche" am Hafen gibt es Planungen für den Bau einer Senioreneinrichtung. "Der Blick von Tegel auf den Bausolitär Humboldt-Bibliothek wäre verstellt, interessante Architektur nicht mehr erfahrbar, das Landschaftsbild stark beeinträchtigt."
Moores urbane Vision wird also eine bleiben. Aber wie sagte Wilhelm von Humboldt, der neben seinem Bruder Alexander unweit des Tegeler Hafens begraben ist? "Ideen sind das einzig wahrhaft Bleibende im Leben."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“