taz Panter Workshop in Charkiw: Abschlussbericht

Ein Abschlussbericht der Trainerinnen Barbara Oertel und Petra Bornhöft über fünf Tage taz Panter Workshop in Charkiw.

Der taz Panter Workshop stellt sich mit den TeilnehmerInnen und TrainerInnen in Charkiw auf. Bild: Sofia Boboc

Am Denkmal des ukrainischen Nationaldichters Taras Shevtchenko im Zentrum der ostukrainischen Stadt Charkiw flattern etwas verloren rund zwei Dutzend Papierflieger. Einige davon tragen die Aufschrift "rest in peace". Sie erinnern an den Absturz der malaysischen Boeing MH17 am 17. Juli 2014 nicht weit von Charkiw. Damals waren die Leichen der insgesamt 298 Opfer in die Kühlhäuser der zweitgrößten Stadt des Landes gebracht worden, Medien berichteten weltweit.

Am Freitag vergangener Woche ziehen die meisten Passanten achtlos am Denkmal vorbei, suchen ein schattiges Plätzchen in der Nachmittagshitze oder dösen auf Parkbänken. Eine Braut mit kirschroten Lippen und in weißer Spitzenrobe zieht die Blicke auf sich. Sie stöckelt mit ihrem Bräutigam zum Brunnen, vor dem auch die Teilnehmer des taz-Panter-Workshops gerade für ein Gruppenfoto posieren.

Fünf Tage haben 15 BloggerInnen, MedienaktivistInnenn, Print- sowie online-RedakteurInnen und TV-JournalistInnen im Alter zwischen 18 und 62 Jahren mit drei deutschen Trainern aus Berlin (Petra Bornhoeft und Barbara Oertel) und Kiew (Bernhard Clasen) diskutiert. Sie haben recherchiert, praktische journalistische Übungen gemacht, geschrieben und über Texte gestritten. Und gelacht und das gar nicht mal so selten. Manchmal wirkte das Lachen wie eine Befreiung vom Dauerstress in Zeiten von Krise und Krieg.

Bild: Sofia Boboc

Charkiw liegt nur 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt, rund hundert Kilometer von den Kämpfen zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Bataillonen im Donbass. Hier, in den Strassen Charkiws, ist der Krieg nicht zu sehen oder zu hören, aber irgendwie doch ständig spürbar und allgegenwärtig. "Wir haben Angst, dass auch Charkiw noch angegriffen wird", sagt Sonja, eine der TeilnehmerInnen. Ihr Kollege Viktor ist Netztaktivist und wie viele workshop-Teilnehmer, erst durch den Krieg zum Journalismus gekommen. "Um der einseitigen Propaganda etwas entegegen zu setzen und die Menschen mit alternativen Informationen zu versorgen", wie er sagt. Er hat drei Monate als Freiwilliger in den Reihen der ukrainischen Armee gekämpft, deren Einsatz offiziell als ATO bezeichnet wird, was soviel wie "antiterroristische Operation" bedeutet. Die ersten beiden Monate nach seiner Rückkehr habe er sich verloren gefühlt und gar nichts mit sich anzufangen gewusst. Wahre Freunde, ja die habe er an der Front getroffen.

So wie Viktor erzählen fast alle Teilnehmer von den Auswirkungen des Krieges auf die Familie, Freunde oder Kollegen. Diese Situation begünstigt einen übertriebenen Patriotismus, der bei vielen Journalisten zu einer Selbstzensur führt. Aus den umkämpften Gebieten des Donbass selbst ist eine unabhängige Berichterstattung nicht mehr möglich. Aber auch in der angrenzenden Region sind Geschichten, die sich kritisch mit der ukrainischen Regierung, der Armee oder der Rolle der Oligarchen auseinandersetzen, selten. "Was können wir schreiben, ohne in der jetzigen Situation der Ukraine zu schaden?" fragt Oksana. Auf den Krieg, der im Frühjahr vorigen Jahres begann, seien sie nicht vorbereitet gewesen.

Bild: Sofia Boboc

Deshalb diskutiert die Gruppe intensiv über ihre während des workshops entstandenen Texte. Die Geschichten handeln vom "Donetzk-Syndrom" bei heimkehrenden ukrainischen Soldaten, Haustieren an der Front sowie anarchistischen Hausbesetzern in Charkiw, die ein Flüchtlings- und Kulturprojekt gestartet haben. Eine Teilnehmerin von der von Russland im März vergangenen Jahres annektierten Halbinsel Krim beschäftigt sich mit einem neu gegründeten Zentrum für ukrainische Kultur in Simferopol - der Hauptstadt der Krim. Anstelle eines Berichts liefert sie eine Rechtfertigung, warum die Macher des Zentrums mit der neuen Macht zusammen arbeiten müssten - ein Umstand der beim Rest der Gruppe auf heftige Kritik stösst und längliche Diskussionen auslöst. Aber es gibt auch Geschichten, die nichts direkt mit dem Krieg zu tun haben - so die weitverbreitete Korruption in der Charkiwer Polizei oder die vielfältige Architektur in der Stadt.

Bei der intensiven Analyse der Texte geht es aber nicht nur um die gewählten Themen, sondern auch die Wahl der Wörter für die jeweilige Darstellung. "Jetzt verstehe ich, dass Sprache auch einen Konflikt verschärfen kann", sagt Vitali in der Debatte über die so genannte "Hass-Sprache". Viktor stellt einen Index vor. Darauf sind Ausdrücke vermerkt, die in seiner Redaktion nicht verwendet werden sollen, "weil sie den Konflikt anheizen."

Bild: Sofia Boboc

Ein Rollenspiel, bei dem in Russland ein ukrainischer Kriegsgefangener interviewt werden soll, scheitert im ersten Anlauf, weil die ukrainische Journalistin sich weigert, nach Moskau zu reisen. Ihre Kollegin willigt ein, streitet sich dann aber vor allem mit dem russischen Beamten über die aktuelle Lage und vergisst darüber ihr eigentliches Anliegen, ihren gefangengenommen Landsmann zu befragen. "Ich bin in die Falle getappt", sagt sie.

Der Ablauf des fünftägigen Seminars wurde von einigen der Teilnehmer in einem täglichen Blog protokolliert. In dieser Zeit habe sie mehr gelernt "als in vielen Seminaren, die zwei Wochen dauern", bilanziert Iryna. Maxim hat die Atmosphäre des Workshops besonders gefallen: "Es war kein Verhältnis Lehrer-Schüler, sondern ein Dialog. Wir haben auf Augenhöhe diskutiert". Auch wir Trainer haben viel Neues gelernt und Denkanstösse bekommen. Und es hat Spaß gemacht.

Nach dem Abschiedsessen im Restaurant "Mafia" geht es zum Platz vor der Oper, wo hunderte Charkiwer in der lauen Sommernacht zu Latino-Musik Tango und Salsa tanzen. Für einige aus der Gruppe ist hier aber noch nicht Schluß. Es wird - Trainer inklusive - eine lange Nacht.

Petra Bornhöft, Barbara Oertel