taz-Bildungsserie (6): Erzieher Mangelware
Kinder sollen früh gefördert, Hauptschüler auf keinen Fall vergessen und Erzieher besser ausgebildet werden. Aber wer will heute eigentlich noch Erzieher werden?
Zwei kleine Mädchen machen Mathematik - und merken es nicht. Frieda und Magda stehen konzentriert vor einem Kühlschrank und greifen nach den bunten Magneten, die dort kleben. Die runden dürfen bleiben, die eckigen wandern an den Geschirrspüler.
Für die Mädchen, die gerade einmal eineinhalb Jahre alt sind, ist es ein Spiel - für die Studentin Anne Kuhnert ein wissenschaftliches Projekt über die "Entwicklung des mathematischen Denkens bei Kindern unter drei Jahren".
Die Qualität in Kitas hängt unter anderem davon ab, wie die Räume eingerichtet sind, ob es Lernecken gibt, welches Material zur Verfügung steht - und vom Betreuungsschlüssel und der Ausbildung des Personals. Bei den Kindern unter drei schneiden die westlichen Länder mit ihrem Betreuungsschlüssel besser ab: In Rheinland-Pfalz kommt eine Betreuungsperson auf vier Kinder. Zum Spitzenfeld gehören auch Bayern, Hessen und das Saarland. Weniger Personal für die Kleinkinder gibt es etwa in Brandenburg, Sachsen oder Sachsen-Anhalt, mit einem Personalschlüssel von schlechter als 1:6.
Bei der Ausbildung sind Bremen, Hessen und Hamburg Vorreiter: Hier haben über 7,5 Prozent einen Hochschulabschluss, während in Thüringen, Sachsen-Anhalt und im Saarland weniger als 2 Prozent studiert haben, wie aus dem "Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. NJ
Die 26-Jährige studiert Erziehung und Bildung im Kindesalter an der Alice Salomon Fachhochschule in Berlin. "Ohne, dass ich es vorgemacht habe, sortieren die Kinder eigenständig Formen. Sie lernen damit Grundlagen der Mathematik", interpretiert Anne Kuhnert im Seminar ihre Ergebnisse. Die Studentin bereitet sich an der Uni auf ihr Berufsziel Erzieherin vor. "Ich habe richtig Lust auf Kinder, aber ich wollte auch einen Studienabschluss machen."
Wenn Kuhnert in einigen Semestern ihren Bachelor-Abschluss hat, wird sie zu den wenigen akademisch ausgebildeten Erziehern und Erzieherinnen gehören, die die Kitas händeringend suchen.
Denn durch den Kitaausbauplan der Bundesregierung erhalten ab 2013 Eltern bundesweit das Recht auf einen Betreuungsplatz für ihre ein- und zweijährigen Kinder. Das Angebot soll dafür auf 750.000 Plätze verdreifacht werden. Das kostet Bund, Länder und Kommunen zusammen 12 Milliarden Euro, der Bund beteiligt sich mit vier Milliarden. "Darauf können wir stolz sein", verkündete Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Verabschiedung des Kinderförderungsgesetzes. Es setze "Meilensteine in Deutschland - für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, und für mehr Bildung unserer Kinder."
Doch wo die Regierung mit ehrgeizigen Zielen ihre Versäumnisse in der frühkindlichen Bildung nachholen will, entstehen immense Probleme im Detail: Es gibt nicht genug Personal für den Kitaausbau. Bis 2013 müssten rund 50.000 zusätzliche Erzieher und Erzieherinnen bereitstehen. So steht es im aktuellen Nationalen Bildungsbericht, den das Bundesbildungsministerium in Auftrag gegeben hat.
Doch das wird schwer zu stemmen sein. "Es wird eine große Lücke geben, weil in den nächsten Jahren viele Erzieherinnen in Rente gehen", warnt Norbert Hocke, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Gleichzeitig kommen auf Deutschland die geburtenschwachen Jahrgänge zu - das bedeutet weniger Schüler für die Fachschulen, die derzeit den Großteil an ErzieherInnen ausbilden. "Es wird in vier bis fünf Jahren sogar ein Fachschulsterben geben", sagt Hocke.
Damit in Zukunft mehr Schulabgänger davon überzeugt werden können, ErzieherIn zu werden, muss sich das Berufsbild grundlegend ändern. Die Bezahlung ist schlecht, und es arbeiten zu 95 Prozent Frauen im Job. "Der Beruf ist nicht attraktiv, vor allem nicht für Männer", sagt Hocke. Junge ErzieherInnen verdienten auf einer vollen Stelle rund 1.300 Euro netto im Monat, bemängelt der Gewerkschafter. Die Konsequenz: "Wenn jetzt nicht mehr Menschen eine Ausbildung starten, müssen die Kitas bald ungelerntes Personal einstellen."
Ein Grauen für Eltern und Politik zugleich. Denn Kitas sollen längst nicht mehr Betreuung, sondern frühkindliche Bildungsstätten sein - schon vor dem Schuleintritt. "In der Zeit zwischen null und sechs Jahren werden Kinder so geprägt, dass es sich auf die gesamte Bildungsbiografie auswirkt", sagt Peer Pasternack, Forschungsdirektor am Institut für Hochschulforschung an der Universität Halle-Wittenberg.Aktuelle neurologische Studien zeigten, dass Lücken in den ersten Lebensjahren später nicht mehr geschlossen werden könnten, erklärt Pasternack.
Auch die Familienministerin betont immer wieder, wie wichtig Qualität bei der Arbeit mit Kleinkindern ist. "Wir übernehmen Verantwortung für die ganz Kleinen. Wir wissen um die zentrale Bedeutung der ersten Lebensjahre. Deshalb muss die Qualität besonders stimmen", ließ von der Leyen kürzlich auf einem Psychologenkongress in Potsdam in ihrem Grußwort ausrichten.
Wenn es nach Bildungsexperten geht, müssten deswegen eigentlich alle ErzieherInnen studieren - so wie es in vielen europäischen Ländern, etwa Italien oder Schweden, üblich ist. Doch in Deutschlands Kitas haben im Schnitt nur drei Prozent der ErzieherInnen einen Uniabschluss, wie der "Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann Stiftung zeigt.
Der Großteil des pädagogischen Personals hat eine Fachschule besucht. "Genau in der Altersgruppe, wo die stärkste pädagogische Zuwendung gebraucht wird, ist das Personal in Deutschland am geringsten qualifiziert", sagt Hochschulforscher Pasternack.
Der Vorteil der universitären Ausbildung liegt darin, dass sich die Studierenden auf Frühpädagogik spezialisieren können - Fachschulen hingegen bilden für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 27 Jahre aus.
Zentral sei auch, dass man an der Uni die jeweils aktuellsten empirischen Studien einbeziehen könne, sagt Iris Nentwig-Gesemann, Professorin für Bildung im Kindesalter an der Alice-Salomon-Fachhochschule (ASFH) in Berlin. "Die Professoren und Professorinnen forschen alle selbst und können daher die Ausbildung unmittelbar an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand anbinden."
Im Studiengang "Erziehung und Bildung im Kindesalter" der ASFH sind unter anderem Module zur Sprachentwicklung, Naturwissenschaft, Entwicklungspsychologie und Integrationspädagogik in Bezug auf Kinder bis 13 Jahre vorgesehen - und werden durch Praxiswochen in Kitas ergänzt. "Gerade Naturwissenschaft kommt in Fachschulen wenig vor", sagt Hilde Köster, Professorin für Naturwissenschaft, Mathe und Technik an der ASFH.
Seit 2004 haben sich an der Hochschule jährlich 40 Studierende für den Bachelor eingeschrieben, gerade hat der Berliner Senat die Studienplätze verdoppelt. Alle Absolventen haben Jobs gefunden, und öffentliche Träger werben mittlerweile in den Seminaren um die Studierenden.
Neben der ASFH haben auch andere Hochschulen auf die Qualitätsdebatte reagiert: Rund 61 Studienangebote im Wintersemester 2008/2009 hat Hochschulforscher Pasternack im Bereich der frühkindlichen Pädagogik und Erziehung gezählt - plus vier Managementstudiengänge für Leitungspersonal.
Die Angebote sind unterschiedlich, einige führen zum Bachelor, andere zum Master, Diplom oder einem Zertifikat. Insgesamt gibt es rund 30 Bachelorstudiengänge, die als Erstausbildung angelegt sind - der Rest ist als Weiterbildung für bereits arbeitende Erzieher und Erzieherinnen konzipiert.
Frühpädagogische Studiengänge gelten als Zukunftsmodell. Sie bringen mehr Qualität in die Kitas und könnten dafür sorgen, dass sich auch Abiturienten stärker für das Berufsfeld ErzieherIn interessieren. Das haben auch die Länder erkannt: Die derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK), Annegret Kramp-Karrenbauer, fordert eine "Steigerung des Studienangebots". "Das, was wir im Moment haben, reicht auf keinen Fall. Vor allem der Bereich der Kinder unter drei ist Neuland für uns", sagte sie der taz.
Doch die Aufstockung der Studienplätze geht nur schleppend voran. Die KMK-Präsidentin und saarländische Bildungsministerin Kramp-Karrenbauer erklärt das nicht etwa über fehlende Finanzzuschüsse der Länder an die Unis, sondern darüber, dass die Hochschulen über die Gründung neuer Studiengänge selbst entscheiden: "Bezogen auf die Fachschulen haben und können sich die Länder auf gemeinsame Ausbildungsinhalte festlegen. Bei den Studiengängen ist eine Steuerung durch die Länder wegen der Autonomie der Hochschulen schwieriger."
Auch eine Lohnsteigerung für Fachkräfte in den Kitas haben die Länder bisher nicht geplant. Und der Bund sieht beim Mangel an ErzieherInnen wenig Handlungsmöglichkeiten. "Das fällt in die Kompetenz der Länder, unsere Möglichkeiten sind begrenzt", sagt ein Sprecher des Familienministeriums. Durch das Geld für den Kitaausbau, das der Bund an die Länder gibt, könnten sie diese Mittel einsparen und für die Ausbildung von Personal verwenden. "Aber direkte Summen für mehr Kitapersonal können wir nicht zuschießen."
Stattdessen hat das Familienministerium am vergangenen Mittwoch einen Ausweichplan vorgelegt: Ein Aktionsprogramm soll mehr Tagesmütter anwerben und qualifizieren. Tagesmütter betreuen - oft sehr engagiert - bis zu fünf Kinder in ihrer Wohnung und bekommen dafür einen geringen Stundenlohn, der teilweise nur bei drei Euro liegt. Sie sollen angesichts des Fachkräftemangels in Kitas bis 2013 ein Drittel der Betreuungsplätze ausmachen.
Den von der Regierung gewünschten Übergang von Betreuungsanstalten zu frühkindlichen Bildungsstätten kann das kaum fördern. Zum Vergleich: ErzieherInnen lernen den Beruf nach dem mittleren Bildungsabschluss rund drei Jahre lang. Ein Bachelor-Studium in Frühpädagogik dauert nach dem Abitur drei bis vier Jahre. Eine Tagesmutter in Berlin erhält ihre Lizenz vom Jugendamt nach einem Kursprogramm von 48 Stunden.
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