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tamtürktür ... der wahre türke von BJÖRN BLASCHKE

Neulich packte ich an dieser Stelle mein erstes Türkei-Abenteuer aus. 1987 wandelte ich zusammen mit einer jungen Frau sieben Wochen lang auf den Spuren des Sängers Ibrahim Tatlises. Eines Tages überlebten wir binnen drei Stunden beim Autostop zwei Unfälle. Ersterer war noch auf widrige Umstände zurückzuführen gewesen: ein Lkw hatte einen Steinbrocken aufgewirbelt, der die Windschutzscheibe unseres Wagens durchschlug. Der zweite Unfall war dafür ein richtiger mit Salto. Der Fahrer war abgelenkt gewesen; er hatte auf mein Geheiß hin eine Ibo-Kassette gesucht.

Damit jedoch nicht genug: Plötzlich wies unsere Kasse ein viel zu großes Defizit auf. Da wir unsere Reise aber nicht unwürdig, weil vorzeitig enden lassen wollten, war der Versorger im Manne gefragt: Leider eigne ich mich jedoch weder zum Döner-Verkäufer noch zum Raki-Mixer. Darum begann ich ungebeten überall dort, wo sich viele Menschen aufhielten, mit Vorliebe an Überlandbusstationen, zu singen – und zwar Stücke, die ich von meiner ersten Ibrahim Tatlises-Kassette kannte. Für den Titelsong „Mavi Mavi“, der von einer blauäugigen Frau handelt, die eines Tages durch ein Tor schreitet, um die unerfüllte Liebe eines Mannes zu stillen, gab es meistens Tee; „Leylimley“, das sich um eine ferne Heimat dreht, brachte uns etwas zu essen ein. Ein Deutscher, der türkische Lieder sang – ein Vollidiot mit vollem Erfolg.

Im Verlauf meiner Auftritte erfuhr ich auch endlich, was an Ibos Stücken süchtig macht: Seine Stimme muss – wie meine eigene – Wellen aussenden, die die Endorphin-Ausschüttung der Zuhörer stimuliert, weshalb sie unempfindlich werden für die Schmerzen, die Tatlises Gesang verursacht – ebenso wie meiner. Während meiner Auftritte nämlich wackelten jedes Mal drei bis vier Menschen sinnlos mit dem Oberkörper hin und her, was weniger Trance war als vielmehr veritabler Hospitalismus.

Obwohl mich meine Reisegefährtin noch in der Türkei verließ, war ich Ibo zutiefst dankbar für sein Werk, und ich beschloss es ins Deutsche zu übertragen. Zurück in Almanya begann ich diese Mission und versuchte mich an „Leylimley“. Der schnulzig-schöne Text lautet: „Ich drehe mich um nach dem vertrockneten Blatt, das vom Baum fällt. Morgenwind zerstreue mich, Bring meinen Staub weit weg von hier. Lege ihn um die Füße meiner Geliebten. Das Licht des Mondes spiegelt sich auf meiner Laute, keiner sagt ein Wort auf meines. Komm, du mit den halbmondförmigen Brauen, auf meine Knie. Umarme mich, du und der Mond ... Sieben Jahre war ich schon nicht mehr in meiner Heimat. Habe mir keinen Vertrauten gesucht für meine Sorgen. Wenn du mir eines Tages folgen willst, frag nicht das Ohr, sondern dein Herz!“

Zur Übersetzung eines zweiten Liedes kam es nicht. Als ich erfuhr, dass das „Leylimley“ gar nicht von Ibo, sondern von Zülfü Livaneli ist, hängte ich meinen neuen Job an den Nagel und schrieb selbst Lieder. Getreu dem einstigen Spruch „Wer nichts wird, wird Wirt“ heißt es schließlich heute: „Wer nichts wird, wird Writer.“

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