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Rechtsextreme Gewalt in DeutschlandAngst vor Kontrollverlust

Derya Türkmen
Kommentar von Derya Türkmen

Der Anschlag in Mannheim war für Medien und Parteien bald uninteressant. Deutschland sieht weg – auch, weil Aufarbeitung tiefe Löcher reißen könnte.

Gedenken in Mannheim: Die Geschichte rechter Gewalt in Deutschland ist eine Geschichte des staatlichen Versagens Foto: Uli Deck/dpa

A m 3. März fuhr ein Mann mit seinem Ford Fiesta in eine Fußgängerzone in der Innenstadt von Mannheim und tötete zwei Menschen, 14 wurden verletzt. Der Anschlag von Mannheim hätte zu gesellschaftlicher und politischer Selbstreflexion führen können. Stattdessen zeigt der Umgang mit der Tat, dass Deutschland weiterhin große Schwierigkeiten hat, sich mit rechtsextremer Gewalt auseinanderzusetzen. Das gilt sowohl für die Medien als auch für die Politik.

Der Anschlag von Mannheim ist nur das jüngste Beispiel einer langen Reihe von rechten Gewalttaten, die verharmlost, relativiert oder politisch blockiert werden. Während Medien sonst oft jedes Detail einer Tat ausleuchten, zeigt eine BuzzFeed-Analyse, dass das Interesse am Anschlag in Mannheim nur halb so groß war wie an vergleichbaren Taten in Magdeburg oder München. Eine Gewalttat, die nicht ins politische Framing passt, wird bald ignoriert.

Gleichzeitig haben CDU/CSU und SPD sich erst mit aller Kraft dagegen gewehrt, die Tat überhaupt im Innenausschuss zu thematisieren – und dann, als der öffentliche Druck zu groß wurde, den Punkt mit den Stimmen der AfD sofort wieder von der Tagesordnung gestrichen. Eine politische Bankrotterklärung, die deutlich macht: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit rechter Gewalt ist unerwünscht.

Doch warum hat die SPD das Thema mit abmoderiert? Eine mögliche Erklärung liegt in ihrer politischen Strategie: Die Partei will sich einerseits als Bollwerk gegen rechts präsentieren, andererseits vermeiden, das Thema so groß zu machen, dass es Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden oder den Verfassungsschutz hätte. Schließlich ist auch die SPD in der Vergangenheit immer wieder mit Versäumnissen im Kampf gegen rechts konfrontiert worden. Eine vertiefte Debatte hätte auch ihre eigenen Fehler ins Licht gerückt. Stattdessen setzt die Partei auf eine Strategie der Deeskalation, die jedoch in Wahrheit nichts anderes ist als Wegsehen. Immerhin hatten die Grünen auf Druck eine Sondersitzung für Dienstag einberufen, um den Fall doch noch aufzuarbeiten.

Kaum neue Erkenntnisse

In der Sondersitzung selbst gab es jedoch kaum neue Erkenntnisse. Die Behörden bestätigten, dass der Täter keine waffenrechtliche Erlaubnis besaß. Bei den Durchsuchungen seiner Wohnung wurden zwei Waffen sichergestellt: eine Schreckschusswaffe und ein Gasdruckgewehr. Zudem lagen den Sicherheitsbehörden zum „Ringbund“ und ähnlichen rechtsextremen Verbindungen keinerlei Erkenntnisse vor. Statt einer klaren Einordnung oder Verantwortungsübernahme wurde in der Sitzung auf Bayern verwiesen, wo der „Ringbund“ aktiv sein soll.

Dieses Wegsehen ist nicht neu. Die Geschichte rechter Gewalt in Deutschland ist eine Geschichte des staatlichen Versagens. Der NSU ermordete etwa über Jahre hinweg Menschen mit Migrationshintergrund, während Ermittlungsbehörden lieber im „migrantischen Milieu“ nach Tätern suchten, anstatt den rechtsextremen Terror zu erkennen. Akten wurden vernichtet, V-Leute gedeckt, und bis heute sind viele Hintergründe der Mordserie nicht aufgeklärt.

Tiefe Angst vor Auseinandersetzung

Doch was, wenn es nicht nur um Ignoranz oder strategisches Wegsehen geht? Was, wenn der Staat eine tiefere Angst davor hat, sich wirklich mit rechter Gewalt auseinanderzusetzen? Vielleicht, weil eine echte Aufarbeitung offenlegen würde, wie tief rechtsextreme Netzwerke bereits in Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten verankert sind. Vielleicht, weil der Kontrollverlust, den eine solche Erkenntnis mit sich bringen würde, das Vertrauen in den Staat selbst erschüttern könnte. Denn wenn rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden tatsächlich enttarnt und ausgehoben würden – wie tief würde das Loch sein, das dabei aufgerissen wird? Würde man feststellen, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem einzelner Täter ist, sondern eine informelle Parallelstruktur bildet, die seit Jahrzehnten gewachsen ist?

Diese systematische Verharmlosung und Ignoranz haben tödliche Konsequenzen. Rechtsextreme wissen, dass sie nicht mit der gleichen Härte verfolgt werden wie andere Extremisten. Deutschland hat seit der Wiedervereinigung mehr als 200 Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen. Doch während islamistische Anschläge sofort zu politischen Großdebatten führen und Forderungen nach Gesetzesverschärfungen laut werden, bleibt es bei rechten Taten oft bei halbherzigen Erklärungen und symbolischer Betroffenheit. Ein Beispiel dafür ist Hanau: Nach dem rassistischen Anschlag 2020, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet wurden, wurde viel über Einzeltäter geredet – aber wenig darüber, dass rechtsextreme Verschwörungsideologien in Deutschland tief verwurzelt sind.

Noch immer fehlt eine klare, konsequente Bekämpfung rechter Netzwerke. Mannheim ist kein Einzelfall – sondern ein Symptom eines Landes, das auf dem rechten Auge blind bleibt.

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Derya Türkmen
Ist seit Oktober 2023 bei der taz, schreibt am liebsten über Gesellschaftthemen, Filmpolitik, Migration und die türkische Diaspora in Deutschland. Hat TV- und Filmproduktion in Hamburg, Angewandte Medien in Mittweida studiert, sowie Asian Cinema und TV-Broadcast in Ayr/Schottland.
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5 Kommentare

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  • "Noch immer fehlt eine klare, konsequente Bekämpfung rechter Netzwerke. Mannheim ist kein Einzelfall – sondern ein Symptom eines Landes, das auf dem rechten Auge blind bleibt."

    Genauso ist die Diagnose.



    Nur warum, dies so ist, welche Mechanismen das Interesse der Öffentlichkeit dimmen, das will mir nicht in den Kopf. Ja, die Behörden sind teilweise rechtslastig, aber von einer tiefen Struktur, die auch von der Politik bewußt gedeckt wird (selbst von (halb)links), das glaube ich dann auch nicht.



    Diese unterschwelligen Mechanismen zu analysieren und zu verstehen sind aber Voraussetzung, um überhaupt etwas zu verändern.



    Nur wenn klar ist, weshalb Otto Normal, kaum Interesse an den Opfern einer Amokfahrt eines Rechtsradikalen zeigt, lässt sich ein Hebel finden, um ein Medienbewußtsein zu schaffen und damit auch Aufreger in den Small Talk Gesprächen im Land zu setzen und damit politischen Druck.

    • @nutzer:

      "Ja, die Behörden sind teilweise rechtslastig, aber von einer tiefen Struktur, die auch von der Politik bewußt gedeckt wird (selbst von (halb)links), das glaube ich dann auch nicht."

      Ich denke auch nicht, dass da eine bewusste Verschwörung zur Verdunkelung stattfindet, sondern sehe es eher dem hierarchischen System inhärent, was durch Nazis aufgebaut wurde. In allen deutschen Sicherheitsbehörden waren Nazis beim Aufbau federführend:



      .



      de.m.wikipedia.org/wiki/Reinhard_Gehlen



      .



      de.m.wikipedia.org/wiki/Paul_Dickopf



      .



      de.m.wikipedia.org...rt_Schr%C3%BCbbers



      .



      www.sueddeutsche.d...derstand-1.5319100



      .

      Und in hierarchischen Systemen bestimmt die Führung die Kaderentwicklung, so dass und sei es nur unterbewussten Mechanismen geschuldet, Menschen mit ähnlichen Wert- und Moralvorstellungen es leichter haben innerhalb der Organisation aufzusteigen. Das ganze dann drei Generationen weiter und den tätigen ist gar nicht mehr bewusst, dass ihre Wert- und Moralvorstellungen durch Nazis geprägt wurden. Was wiederum zur bekannten selektiven Wahrnehmung von rechten Straftaten führt.

    • @nutzer:

      Es fängt schon damit an, dass die rechtsextremen Kontakte des mannheimer Täters als in der Vergangenheit abgeschlossen gelten und behauptet wird, sie hätten mit dem Motiv des Anschlags (als Amokfahrt und nicht als solcher bezeichnet) nichts zu tun.



      Wir (Sie, ich und Frau Türkmen) bezweifeln das, eine Mehrheit vertraut den offiziellen Angaben der Polizei, auch die Rechten, die sonst alles anzweifeln, bis auf die völlig Verpeilten, die behaupten, der Täter sei in Wahrheit doch Ausländer gewesen und Alexander S. gar nicht der richtige.



      Nach welchen Kriterien gewichtet die Polizei Hinweise auf Tatmotive, im konkreten Fall psychische Erkrankung (nachgewiesen durch Behandlung) und Kontakte zur rechtsextremen Szene? Nach welcher Zeit gelten letztere als verjährt, bzw. die Gesinnung als verändert? Hebt psychische Erkrankung rechtsextreme Einstellungen als Tatmotiv auf?



      Bei alledem sollten rechtsextreme Verdächtige nicht wie ausländische behandelt werden, sondern anders herum; nicht nur von der Polizei, sondern besonders auch von den Medien.

  • Alles keine neuen Gedanken, leider. Mit einem Kanzler Merz der gegen linke Spinner wütet, mit Medien die das Spiel weiter mitspielen wird in naher Zukunft sicher auch nichts besser.

  • Die Geister, die man rief, lassen sich immer schwerer einfangen. Also verdrängt man und hält Sonntagsreden. Die Stimmung im Land ist schon lange aufgeheizt. Es erinnert an "Biedermann und die Brandstifter".