Rechtsextreme Gewalt in Deutschland: Angst vor Kontrollverlust
Der Anschlag in Mannheim war für Medien und Parteien bald uninteressant. Deutschland sieht weg – auch, weil Aufarbeitung tiefe Löcher reißen könnte.

A m 3. März fuhr ein Mann mit seinem Ford Fiesta in eine Fußgängerzone in der Innenstadt von Mannheim und tötete zwei Menschen, 14 wurden verletzt. Der Anschlag von Mannheim hätte zu gesellschaftlicher und politischer Selbstreflexion führen können. Stattdessen zeigt der Umgang mit der Tat, dass Deutschland weiterhin große Schwierigkeiten hat, sich mit rechtsextremer Gewalt auseinanderzusetzen. Das gilt sowohl für die Medien als auch für die Politik.
Der Anschlag von Mannheim ist nur das jüngste Beispiel einer langen Reihe von rechten Gewalttaten, die verharmlost, relativiert oder politisch blockiert werden. Während Medien sonst oft jedes Detail einer Tat ausleuchten, zeigt eine BuzzFeed-Analyse, dass das Interesse am Anschlag in Mannheim nur halb so groß war wie an vergleichbaren Taten in Magdeburg oder München. Eine Gewalttat, die nicht ins politische Framing passt, wird bald ignoriert.
Gleichzeitig haben CDU/CSU und SPD sich erst mit aller Kraft dagegen gewehrt, die Tat überhaupt im Innenausschuss zu thematisieren – und dann, als der öffentliche Druck zu groß wurde, den Punkt mit den Stimmen der AfD sofort wieder von der Tagesordnung gestrichen. Eine politische Bankrotterklärung, die deutlich macht: Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit rechter Gewalt ist unerwünscht.
Doch warum hat die SPD das Thema mit abmoderiert? Eine mögliche Erklärung liegt in ihrer politischen Strategie: Die Partei will sich einerseits als Bollwerk gegen rechts präsentieren, andererseits vermeiden, das Thema so groß zu machen, dass es Konsequenzen für die Sicherheitsbehörden oder den Verfassungsschutz hätte. Schließlich ist auch die SPD in der Vergangenheit immer wieder mit Versäumnissen im Kampf gegen rechts konfrontiert worden. Eine vertiefte Debatte hätte auch ihre eigenen Fehler ins Licht gerückt. Stattdessen setzt die Partei auf eine Strategie der Deeskalation, die jedoch in Wahrheit nichts anderes ist als Wegsehen. Immerhin hatten die Grünen auf Druck eine Sondersitzung für Dienstag einberufen, um den Fall doch noch aufzuarbeiten.
Kaum neue Erkenntnisse
In der Sondersitzung selbst gab es jedoch kaum neue Erkenntnisse. Die Behörden bestätigten, dass der Täter keine waffenrechtliche Erlaubnis besaß. Bei den Durchsuchungen seiner Wohnung wurden zwei Waffen sichergestellt: eine Schreckschusswaffe und ein Gasdruckgewehr. Zudem lagen den Sicherheitsbehörden zum „Ringbund“ und ähnlichen rechtsextremen Verbindungen keinerlei Erkenntnisse vor. Statt einer klaren Einordnung oder Verantwortungsübernahme wurde in der Sitzung auf Bayern verwiesen, wo der „Ringbund“ aktiv sein soll.
Dieses Wegsehen ist nicht neu. Die Geschichte rechter Gewalt in Deutschland ist eine Geschichte des staatlichen Versagens. Der NSU ermordete etwa über Jahre hinweg Menschen mit Migrationshintergrund, während Ermittlungsbehörden lieber im „migrantischen Milieu“ nach Tätern suchten, anstatt den rechtsextremen Terror zu erkennen. Akten wurden vernichtet, V-Leute gedeckt, und bis heute sind viele Hintergründe der Mordserie nicht aufgeklärt.
Tiefe Angst vor Auseinandersetzung
Doch was, wenn es nicht nur um Ignoranz oder strategisches Wegsehen geht? Was, wenn der Staat eine tiefere Angst davor hat, sich wirklich mit rechter Gewalt auseinanderzusetzen? Vielleicht, weil eine echte Aufarbeitung offenlegen würde, wie tief rechtsextreme Netzwerke bereits in Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten verankert sind. Vielleicht, weil der Kontrollverlust, den eine solche Erkenntnis mit sich bringen würde, das Vertrauen in den Staat selbst erschüttern könnte. Denn wenn rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden tatsächlich enttarnt und ausgehoben würden – wie tief würde das Loch sein, das dabei aufgerissen wird? Würde man feststellen, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem einzelner Täter ist, sondern eine informelle Parallelstruktur bildet, die seit Jahrzehnten gewachsen ist?
Diese systematische Verharmlosung und Ignoranz haben tödliche Konsequenzen. Rechtsextreme wissen, dass sie nicht mit der gleichen Härte verfolgt werden wie andere Extremisten. Deutschland hat seit der Wiedervereinigung mehr als 200 Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen. Doch während islamistische Anschläge sofort zu politischen Großdebatten führen und Forderungen nach Gesetzesverschärfungen laut werden, bleibt es bei rechten Taten oft bei halbherzigen Erklärungen und symbolischer Betroffenheit. Ein Beispiel dafür ist Hanau: Nach dem rassistischen Anschlag 2020, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund getötet wurden, wurde viel über Einzeltäter geredet – aber wenig darüber, dass rechtsextreme Verschwörungsideologien in Deutschland tief verwurzelt sind.
Noch immer fehlt eine klare, konsequente Bekämpfung rechter Netzwerke. Mannheim ist kein Einzelfall – sondern ein Symptom eines Landes, das auf dem rechten Auge blind bleibt.
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