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Von Henning Brüns
Der Nussknacker ist kaputt. Mitten in der Adventszeit. Ungezählte Jahre hat er Nüsse geknackt, ohne zu klagen. Schon meinen Eltern hat er treue Dienste geleistet. Wie sollen wir auf die Schnelle einen Nachfolger finden? Mir fällt in Berlin nur das Kaufhaus am Hermannplatz ein. Nach ewigem Gesuche verlasse ich den Tempel des Kommerzes mit leeren Händen. Dort kaufen scheinbar nur noch Finanzmagnaten ein. Unsereins … na ja, lassen wir das, unsereins nimmt eine Rohrzange. Geht auch irgendwie.
Als wir unseren Töchtern ein Foto schicken, lachen sie sich kaputt. Schon wieder dieses Wort. Keine Sorge. Die Kinder haben unsere Erziehung annähernd heil überstanden. Sie wohnen neuerdings anderswo und feiern ohne uns. Das erste Mal. Meine Güte, mir kommen die Tränen. Aber als geschulter Verstandesmensch rücke ich umgehend die Vorteile in den Fokus. Wir machen uns unabhängig von dem Weihnachtsgedöns und verreisen. Eine famose Idee! Begeistert sitzen wir am Küchentisch und knacken frische Walnüsse bei Kerzenschein. Als ich eine winzige Maus auf dem Dielenboden entdecke, traue ich meinen Augen nicht. Erst als ich ihr Hinterteil unter dem Kühlschrank verschwinden sehe, muss ich begreifen, dass wir zwei nicht länger unter uns sind.
Der Nachbar ein Stockwerk tiefer gibt zu, er hat jüngst alle Löcher in seiner Wohnung verstopft. Es seien zu viele geworden. Im Internet ist ebenfalls von verheerenden Fortpflanzungsprognosen die Rede. Maßnahmen müssen ergriffen werden. Sofort! Meine Freundin sieht die Lage weitaus weniger dramatisch. Sie glaubt nicht an Übervölkerung durch Migration und überlegt eine Futterstelle einzurichten. Aber wer soll die Einwanderer versorgen, wenn wir verreist sind? Das einnehmende Lächeln meiner Freundin spricht für sich. Vielleicht kommen sogar die Kinder, wenn sie hören, wen wir zu Gast haben.Henning Brüns
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