szene: Neuer Stoff in neuen Tüten
VonFelix Primus
Die Altkleiderbox meines Vertrauens stand lange Zeit in Prenzlauer Berg, praktischerweise auf dem Nachhauseweg von der U-Bahn. Nicht dass ich diese Box jemals benutzt oder aus ihrem Bauch etwas entwendet hätte. War nicht nötig. Denn sie quoll ja über, ihre Ausläufer in Form praller Plastiktüten, Kartons und Taschen erstreckten sich oft bis zur nächsten Fußgängerampel, machten diese unbedienbar. Sehr oft waren's absolut exquisite Altkleider, den Namen nicht verdienend. Ich musste sie nur mitnehmen – und war damit auf Jahre versorgt.
Zugegeben: Eine kleine Stiländerung war dafür nötig meinerseits. Schon die schillernden Aufschriften auf den Taschen aus starkem Karton ließen auf die Provenienz Kurfürstendamm aufwärts schließen. Der elegante Vorbesitzer hatte sich dort also hemmungslos ausstaffiert und den alten Krempel in ebenjene Tüten gestopft und am Eck entsorgt. Alten Krempel? Gestopft? Nein. Ich war mir sicher, dass in den Taschen die noch unangetastete Ware stecken musste, so sorgsam gefaltet war der Inhalt, so verblüffend blütenrein und duftig sogar die Unterwäsche. Vielleicht hatte der Einkäufer vergessen, die Neuware gegen das Abgetragene zu tauschen, und lief immer noch in alter Klamotte herum, die ja vielleicht gar nicht richtig von den neuen zu unterscheiden war, weil sie immer noch neu war. Oder waren's ungeliebte Geschenke, derer sich da jemand entledigte? Unklar. Jedenfalls staffierten mich diese namhaften Hemden, Hosen und Sakkos aus feinstem Tuch optimal aus, und das im Vorübergehen. Das war großartig und zum Quietschen zugleich.
Tempi passati. Inzwischen scheint der Nutzer, der exakt über meine Kleider- und Schuhgröße verfügt hatte, den Kiez verlassen zu haben. Tüten und Boxen in Hülle und Fülle vor der roten Stahlkonstruktion sind Schnee von gestern.Felix Primus
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