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szene

VonHenning Brüns

Neulich war einer dieser schrägen Tage im Jahr. Eigenartige Erlebnisse häuften sich. Früh am Morgen schon griff eine junge Kollegin nach meiner verschlafenen Hand und schüttelte sie mitfühlend. „Der Tag ist wichtig“, sagte sie, „für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Euch Männern wäre ja einiges vorzuwerfen, aber …“

Wahrscheinlich, weil in meinem Dickschädel zu ihren Worten keine Kerze aufleuchtete, klärte sie mich auf: „Heute ist der Internationale Männertag!“ Sogar einen Kuchen hatte sie gebacken. Inkompetent machte ich eine abwehrende Handbewegung. Was hatte das mit mir zu tun?

Erst hinterher fiel mir ein, was mich störte. Nicht am Kuchen, der schmeckte hervorragend, eher grundsätzlich an der merkwürdigen Idee. Welcher der 365 Tage im Jahr ist denn kein Männertag? Der Osterhase, der Nikolaus, der Weihnachtsmann. Sogar an den Feiertagen machen die Männer keine Dominanzpause.

Womit wir bei der redegewandten Physiotherapeutin aus dem Vorderhaus wären. Auf dem Nachhauseweg winkte sie mich am U-Bahn-Eingang Hermannplatz zu sich, um mir allen Ernstes mitzuteilen, wie toll sie es fände, dass ich mich als älterer weißer Hetero so freizügig in meiner Wohnung bewege. Im Übrigen, ergänzte sie auf unseren letzten gemeinsamen Metern, bevor sie mit einem Daumenhoch im Café Süß verschwand, fände sie Vorhänge ebenfalls ziemlich überholt. Wir würden doch in einer total digitalisierten Gesellschaft leben und im World Wide Web seien wir schließlich alle nackt unterwegs.

Als ich ihr wenig später in unserem Hinterhof begegnete, stand mir meine neue Frisur erneut zu Berge. Die Papiertüte mit den organischen Abfällen war mir just neben die Tonne geklatscht. Ein unbeschwertes Lachen im Gesicht spazierte sie an mir vorbei und wünschte mir mit einem weiteren Daumenhoch einen schönen Abend.Henning Brüns

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