szene: Kleiner Fuchs, was nun?
Das Kind ist krank. Was sehr schade ist, aber auch nicht verwunderlich, es sind ja alle Kinder krank. Unser Glück ist, dass es Lehrer*innen mit Abwehrkräften wie von Ackergäulen gibt, die Sammelmappen für das versäumte Wissen anlegen und diese in der Schule lagern. Da wollen wir hin.
Auf dem verwirrend leeren Schulhof einer Weißenseer Grundschule treffen wir auf einige andere Eltern und ihre schniefenden, aber wissbegierigen Kinder.
Allein sind wir auch sonst nicht. Zwischen Geräteschuppen und Kastanienbaum turnt ein Eichhörnchen. Das ist nicht krank, hat aber auch Hausaufgaben. Es schnüffelt hierhin und dorthin, hoch, und am Boden entlang, findet eine Nuss und verstaut sie, als ein jüngeres Geschwisterkind ruft: „Guck mal, ein kleiner Fuchs!“
Wir gucken, auch das Eichhörnchen. Berliner Stadtfüchse, denke ich, möglich ist alles.
Aber auf diesem Schulhof hier stehen nur Menschen und dieses Eichhörnchen. Das sagt auch die Mutter.
„Aber nein,“ johlt das putzige Kind, „das ist ein kleiner Fuchs!“ Wir schauen auf das flauschige Tier. „Mit ein bisschen Fantasie …“, sage ich. „So ein Eichhörnchen hat schon etwas Fuchsartiges.“ Rotes Fell, buschiger Schweif, und dieser Blick, beobachtend, so ein Mir-egal-was-du-denkst-ich-weiß-was-ich-bin-Blick.
Vielleicht lagen wir immer falsch, vielleicht sind Eichhörnchen tatsächlich richtige Füchse, nur eben angepasst an Schulhofmaßstäbe? Was weiß ich schon? Wegen Biologie bin ich damals auch um ein Haar durchs Abi gefallen. Das Kind hüpft von einem Bein aufs andere, als das Fuchshörnchen in Richtung des hofeigenen Fußballplatzes verschwindet. Auch wir zerstreuen uns allmählich in den Herbstnachmittag.
„Da läuft er! Da läuft er!“, höre ich das Kind noch rufen und wünsche mir, es könnte einfach recht haben.
Klaus Esterluss
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