szene: In der Umgebung ganz bunt
Auf dem Berliner U-Bahnhof Spichernstraße sitzt ein Mann mit Stirnband. Er trägt eine Weste mit vielen Buttons, hält eine Gitarre auf dem Schoß und redet mit einem Typen in einem Seemannspulli, der zwei Plätze weiter sitzt und etwas genervt wirkt.
Als ich vorbeigehe, höre ich, wie er sagt: „Ich komm nicht aus Italien.“ „Yes you are“, sagt der Mann. „Ich sehe in deiner Umgebung, woher du stammst.“
Ich bleibe stehen und starre zur Tarnung auf das Anzeigenschild, dann gleich wieder zu den beiden herüber. Der Typ sieht es, wir wechseln einen kurzen Blick.
„In meiner Umgebung?“, fragt er. „In deiner Aura. Weißt du, was’ne Aura ist?“ „Geht so“, sagt der Typ. „Dein Energiefeld, da sind alle Informationen über dich gespeichert. Auch, woher du eigentlich stammst. Deine ist grün-blau. Und da am Bein haste was, oder?“
Der Typ guckt auf sein Knie und dann den Mann an. „Was hab ich da?“ „Keine Ahnung, Schmerzen, schätz ick. Da ist’s rot.“ Ich lächele, als hätte die Anzeige etwas Lustiges gezeigt.
Der Mann mit der Gitarre, singt, dann stoppt er und ruft in meine Richtung: „Und du da.“ Ich sehe hinüber. „Polen und Frankreich!“, ruft der Gitarrenmann mir zu. „Ach?“, sage ich. „Ja“, sagt er. „Aura-Reading.“ Er sinniert kurz: „Voll lila. Bist’ne Künstlerin, wa?“ „Hm“, mache ich. Die Bahn kommt, wir steigen ein. Der Typ und ich bleiben an der Tür stehen, der Gitarrenmann geht durch den Waggon ans andere Ende. „Und?“, fragt der Typ. „Bist du nun’ne lila Künstlerin?“
„So was Ähnliches“, sage ich und sehe auf sein Knie: „Hast du Knieschmerzen?“ „Hatte jedenfalls vor zwei Monaten’ne Knie-OP.“ Wir gucken uns an. „Fühl mich seitdem so grün-blau mit’n bisschen rot.“ Er grinst.
Wir sehen zum Gitarrenmann. Er singt. Ab und an stoppt er, liest die Aura der anderen Menschen. Alle sind schön bunt. Isobel Markus
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