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szeneBielefeld hat ausgedient

Hannover ist erledigt!“, flüstert der Mann viel zu laut in sein Handy. Er trägt Anzughose, grau. Seiden­sakko, speckig glänzend. Ein Hemd, blauruschlig. Der Kragen sieht frisch gebügelt aus. Er hält sich eine Hand vor den Mund, er redet weiter: „Kein Geld ist geflossen!“

„Nur Stress! Alles gelöscht!“, murmelt er. Gelöscht? Ja, ich habe ihm schon vorher zugehört. Weil er in der U-Bahn herumwandert und heimlich tut. Aber nun hat er meine volle Aufmerksamkeit. Ich sehe von meinem Handy auf. Der Mann pendelt zwischen den Türen hin und her. Er schwitzt, das Haar klebt ihm am Kopf fest.

„Hannover ist weg!“ sagt er. Er betont das „weg!“

Weiß er etwas, das ich nicht mitbekommen habe? Der Tag war lang im Co-Work in Kreuzberg. Ich checke die News. Da ist nichts über Hannover zu lesen. Keine Meldung. Aber, wer weiß?

Ich will doch eigentlich nur nach Hause. Mein Kopf ist voll mit den Mails und Meetings, die ich den Tag über abgearbeitet habe. Mein Akku leer. Und jetzt das: die U 8, und ein Mann, der Hannover verschwinden lässt.

Ich muss an die Bielefeld-Verschwörung denken. Die Stadt, die es angeblich nie gab. Ein Scherz, ich war dort. Habe aus dem Küchenfenster meiner Tante geschaut. Ich habe mich dort mit dem neuen Auto verfahren und mich schließlich doch wiedergefunden.

Außerdem kommt A. aus Bielefeld, sagt sie wenigstens. In Hannover kenne ich wiederum niemanden. Der Mann stellt sich in den Türbereich. Er hält sich an einer der gelben Haltestangen fest. Er sagt, dass es „eine ganz groß Sache“ sei. Er sieht sich um. Hat er mich angesehen? Ich gucke weg.

Wir sind gleich am Alexanderplatz. Da muss ich raus. Ich checke auf dem Handy. Nichts zu Hannover. Der Mann legt auf. Er streicht sich das Sakko glatt. Wir steigen gleichzeitig aus. Er nickt mir zu. Klaus Esterluss

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