struck siegt gegen schily: Chaos rettet Stasi-Akten
Seit kurz vor Weihnachten haben sie sich gestritten: Jetzt hat sich SPD-Fraktionschef Peter Struck gegen Innenminister Otto Schily durchgesetzt. Es wird keine Kabinettsorder an die Gauck-Behörde und ihre Chefin Birthler geben. Und auch kein novelliertes Stasi-Unterlagen-Gesetz. Vorerst soll „tiefer gehängt“ und abgewartet werden. Bis zur Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichtes in Sachen Kohl.
Strucks Sieg ist vielfach bemerkenswert. Zunächst ganz schlicht: Der Kampfausgang war bis gestern nicht vorhersehbar, bis zur entscheidenden SPD-Fraktionsklausur. Das lag auch daran, dass Kanzler Schröder – ebenfalls bemerkenswert – einfach eisern schwieg. Als sei er Helmut Kohl. Schröder ließ es zu, dass sich seine Partei munter und öffentlich zerfleischte. Da war Schily, der den Medien mitteilte, Struck neige manchmal zu unbedachten Äußerungen. Da waren die SPD-Landeschefs im Osten, die das „fatale Gefühl“ entwickelten, es werde mit zweierlei Maß gemessen. Da war der Grabenkrieg Schily gegen Birthler. Die SPD gab ein führungsloses Bild ab – was an das Krisenmanagement in der BSE-Krise ungut erinnert.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Jetzt wird also abgewartet, was das Berliner Verwaltungsgericht entscheidet. Das ist der sattsam bekannte Weg: Wenn sich die Politik nicht einigen kann, dann wird die Justiz bemüht. Einziger Unterschied diesmal: Die Justiz war schon eingeschaltet – dank Kohl, der seine Akten nicht veröffentlicht sehen will.
Der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss, die Auslegung des entscheidenden Paragrafen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes umstritten. Daher wäre der politisch saubere Weg, das Gesetz zu novellieren und die Unklarheiten zu beseitigen. Um Streitfälle wie um Kohls Akten künftig zu vermeiden. Doch zeigte die Debatte, die nicht nur die SPD gespalten hat, wie aussichtslos jede Novelle in jede Richtung ist. Ob Verschärfung oder liberale Deutung: Vielleicht gäbe es für eine Option eine Mehrheit. Doch keiner weiß es. Die Lage ist chaotisch. Angeblich soll ja Ost gegen West stehen – wie einfach wäre diese Front. Doch ist auch der Osten selbst zerrissen; es gibt viele in der ehemaligen DDR, die finden, die Aufklärungsarbeit sei längst zu weit gegangen. Eine Idee, für die sich auch Westdeutsche erwärmen können.
Im Chaos Führung – das erhofft sich der Bürger von der Politik. Stattdessen ergibt sich die Politik dem Durcheinander, bis sie endlich den Status quo entdeckt.
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