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straight aus dem medienparkKryptisch: Die „Bild“-Nachtgestalten und Florian IlliesWir sind‘s, Kanzler!

Es ist so eine Sache mit der „Benutzerfreundlichkeit“ von Zeitungen. Leicht zu verstehen sollen sie sein, leicht zu handhaben. Dann schlägt man einmal die Bild auf, weil man denkt, die kann’s – und findet sich in einer fremden Welt wieder, die so unübersichtlich ist, wie die Welt halt ist. Nur hilft Bild nicht weiter. Wenn eine Zeitung regelmäßig gelesen werden muss, dann diese, zumal in Berlin: Feuer in Charlottenburg, Arbeitgeber sollen Jobs schaffen, das Gebäude der Liebe, Emil und die Detektive, das Potter-Filmplakat, das Maxim-Gorki-Theater, der Stoiber-Eklat, die Demo gegen den Krieg, sie hat einen Bürojob, er malt Totenköpfe, Polizisten kassierten, Klaus Löwitsch verzweifelt.

Viel los in Berlin an diesem Samstag, viel Stoff für eine Seite. Dazu eine Kolumne wie die „Nachtgestalten“, die man sich auch inhaltlich hart erarbeiten muss. Da geht’s um Leute, klar, wie überall in Bild, aber um Prominente wie Christine Neubauer und Gunda Ebert zum Beispiel. Die eine (39), die andere (30), die eine „Wuchtbrumme“, die andere „Kollegin“, beide aus der ZDF-Komödie „Familie wider Willen“. Die eine zog beim Dreh die Kostüme der anderen an, was diese nicht so lustig fand. Ja.

Oder um Promis wie Sandra Maischberger, die Sachen gesagt hat wie „Oft denke ich, meine Sendung ist schlecht. Aber wenn Jenny Elvers sie moderieren würde, wäre der Erfolg nur halb so groß.“ Was genau Maischberger damit sagen wollte, erfährt der „Nachtgestalten“-Leser nicht.

Zeit haben die beiden Kolumnisten Nadine von Hirschheydt und Stefan Peter nämlich nicht und Platz schon gar nicht. Geschwind geht es die Tage weiter: Barbara Schönberger (27, „Weck up“, Sat.1) hat einen Unfall gehabt, Vince Bahrdt (30) eine Nina getroffen und ihre Nummer verbummelt, der GZSZ-Star Hendrik Borkmann (23) den Film „Rave Macbeth“ nicht verstanden.

Gunda Ebert? Vince Bahrdt? Hendrik Borkmann? Kennt die jemand? Die Welt der TV-Vorabendserien halt, des Fernsehens überhaupt, und die beiden Kolumnisten sind ganz nah dran. Sie sind bei einer Präsentation der Juwelierkette Bucherer und treffen dort Martin Semmelrogge (45) und Frau Sonja (36) im Schlabberlook; oder bei der Eröffnung der Mercedes-Showräume am Ku’damm und unterhalten sich mit den Specks über das Geheimnis der wieder schönen Figur von Cora Speck. Genau, die Specks. Wer sind die Specks? Warum heißt diese Kolumne „Nachtgestalten“, und wer sind sie? Herr Dresen, die Quarterpromis, oder gar von Hirschheydt und Peter selbst? Bild, hilf!

Aber auch jenseits des Boulevards hat man es gern mal kryptisch. So kostete es am Samstag Mühe, einen Text von Florian Illies auf den Berliner Seiten zu dechiffrieren. Der Kanzler hatte Schriftsteller zum Essen geladen, möglicherweise, die üblichen Großdichter wie Grass, Heym oder Walser. Illies schaltete das Essen mit dem Buch der Kanzlergattin kurz: „Der Kanzler wohnt am Swimmingpool“ und stellte sich vor: Wie die Schriftsteller durchs winterliche Berlin in Badekleidung irrten. Wie Schröder die Einladung nachbesserte. Wie er die Einladungslisten von 1981 oder 1991 verwechselte und so weiter und so witzig.

Eine lustige Geschichte, eine schöne Polemik? Am Ende mündete der Text in die Klage darüber, dass es „keine dezidierten Meinungsäußerungen“ jüngerer Kulturschaffender nach dem 11. September gegeben habe. Immer wieder Jens, nie Kracht, sozusagen. Ein subtiler Seitenhieb auf die eigene Generation. Doch auch eine wohlfeile Klage: Denn Illies selbst repräsentiert diese Generation nur zu gut mit seinen Büchern „Generation Golf“ und „Anleitung zum Unschuldigsein“. Dass er sich so wundert!

FRANCIS BERGMANN

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