piwik no script img

Archiv-Artikel

steffen grimberg Vorfall, unter Kontrolle

Das Vereinigte Königreich empört sich über einen Skandal – ohne zu wissen, worum es denn nun eigentlich geht

Ach wie hübsch absurd: Während alle Zeitungen der zivilisierten Welt, schottische eingeschlossen, über angebliche sexuelle Verwicklungen des britischen Thronfolgers berichten, bleibt für die Untertanen und in Manchester urlaubende taz-Redakteure bis heute offiziell unklar, um was es wirklich geht.

Einen „Vorfall“ hatte Prinz Charles’ Privatsekretär Sir Michael Peat bereits am vergangenen Donnerstag „kategorisch dementiert“ und darauf verweisen, dass die „Quelle ein mit Alkohol- und sonstigen psychischen Problemen“ geschlagener Mensch sei.

Glückliche Boulevardpresse! Was ist ein Genaddel von Bohlen schon gegen einen Charles von Windsor: Ein waschechter Thronerbe im zarten Alter eines Frühpensionärs (55). Glückliche Qualitätszeitungen! Weil in Großbritannien immer noch die Monarchie die Kriege erklärt, hat jede von Charles’ Eskapaden Verfassungsrang und ist daher auch von Times bis Guardian von höchster Wichtigkeit. Wie dämlich nur, dass der von ausgemusterten Soldaten bevölkerte Hofstaat jedes Mal wieder darauf hereinfällt: Gerichtliche Verfügungen gegen Zeitungen, bevor deren Berichte auch nur erschienen sind, müssen die Presse herausfordern. Und in nebulösen Umschreibungen sind britische Medien dank langer Übung unschlagbar. Zumal ihm doch jeder seinen Spaß gönnen würde – außer Camilla, vielleicht.

Nun ist Großbritannien eine Insel und die Monarchie von gestern. Dass sie aber offensichtlich immer noch keinen Schimmer haben, wie das Internet funktioniert, oder dass internationale TV-Sender durchaus auch über britischem Territorium ihre Signale abstrahlen, macht dann doch etwas ratlos. Die Medien hingegen halten sich streng an die überlieferte Prioritätenskala des britischen Journalismus: Royals, Children, Animals, Death. Ein bisschen erinnert das alles an ein wohl bekanntes System: „Auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik kam es heute zu einem Vorfall. Gefahr für die Bevölkerung bestand zu keiner Zeit, und die Lage ist völlig unter Kontrolle.“