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stefan kuzmany über Charts Glanz in allen Augen

Massenrausch beweist: Gregor Gysi hat uns was ins Hirn gemischt. Eindeutig. Jedenfalls für einen Tag

OUTI met the childrenWhat did you tell them?Video killed the radio star(The Buggles)

So etwas hatte ich noch nie gesagt. Oder auch nur gedacht. Doch dann platzte es heraus: „Ich glaube, ich wähle PDS.“ Vielleicht habe ich auch gesagt: „Ich glaube, ich muss PDS wählen.“ Oder doch entschlossener: „Ich werde PDS wählen.“ Egal. Es war ganz logisch. Keiner der Umstehenden hat sich gewundert. Die hatten gar keine Kapazitäten frei, sich zu wundern. Die waren mit ihrer eigenen Begeisterung beschäftigt. Alle waren sie begeistert, eingefleischte Grün-Wähler wie ich, nie was anderes gewählt (na gut, mal die SPD, aber das war ein Ausrutscher). Alle hatten sie diesen Glanz in den Augen. Rausch. Taumel. Gregor Gysi hat uns was ins Hirn gemischt, eindeutig.

Was für ein Typ. Steht da, vor perfekter Kulisse, das Rathaus im Rücken, quasi bereits sein Rathaus, und langweilt nicht. Kann einfach reden. Spricht davon, Brücken zu bauen, nicht Mauern. Schaut schelmisch. Macht einen Scherz. Kriegt die Kurve. Wird wieder ernst. Wickelt sie alle um den Finger. Lässt die anderen einfach alt aussehen. Blass. Nachgerade nicht anwesend. Der macht’s. Der macht alles besser. Der kann was. So redet er, der eindeutig künftige Regierende Bürgermeister dieser riesigen, wunderschönen, widersprüchlichen, geteilten Stadt, die ich mir, aus Bayern kommend, zum Drinleben ausgesucht habe: Berlin.

Der Heimweg. Die Stadt – wie verzaubert. Sommer. Trotz Regen. Alle scheinen aufzuatmen. Die Frau im Bus 129, auf dem Platz gegenüber: Die freut sich eindeutig auch. Ist froh, nicht mehr von diesen Provinzpotentaten der CDU regiert, verladen, für dumm verkauft zu werden. Diese Verschwender und Vertuscher – endlich abgesägt. Es geht aufwärts. Mit Gysi. Die Frau gegenüber lächelt. Sie sieht gut aus. Ist sich sicher wie ich, dass dieser Wowerwas oder wie der heißt sich nicht wird halten können. Ein Mann, dessen größte politische Leistung es bisher ist, sich öffentlich zu seiner sexuellen Präferenz geäußert zu haben. Ha! Der kann Gysi doch nicht das Wasser reichen. Und die Grünen? Ach ja, die Grünen. Mein politisches Gewissen hatte mal eine schöne Zeit mit denen. Lange her. Schon vergessen. Und dieser Bodenbelagsverkäufer Steffel? Chancenlos. Von der CDU haben wir gar nicht erst gesprochen. Wir haben eigentlich gar nicht miteinander gesprochen. Aber ich bin mir sicher: Sie dachte wie ich.

Der Abend. In der Kneipe nur ein Thema: Gysi, klar. Der nächste Regierende. Unser Gregor. Gregor, rette Berlin! Was hatte er gleich noch gesagt? Brücken bauen, nicht Mauern. Unser Anwalt. Großartig. Viel getrunken. Mit einem Freund dann über einen Bekannten gesprochen: Ostdeutscher, aber kein Jammer-Ossi. Smart im Ausdruck und in der Kleidung. Coole Brille, coole Schuhe, coole Sprüche. „Mensch, der könnte in der PDS gleich hinter Gysi einsteigen. Sofort.“ Kurzes Schweigen. Was bedeutet das? Haben die etwa niemanden außer Gysi? Wir denken nach. Es fällt uns niemand ein. Wir erkennen: Das liegt daran, dass wir zu viel getrunken haben. Wir zahlen.

Schlecht geschlafen. Zuerst gar nicht geschlafen: Versuchte mich an Gysis Rede zu erinnern. Was hatte der noch gesagt? Brücken nicht mauern. Aber da muss doch sonst noch was gewesen sein. Irgendwas. Es fällt mir ums Verrecken nicht ein. Irgendwann doch eingeschlafen. Gegen 5 Uhr wieder aufgewacht, weil ein Buch aus dem Regal auf meinen Kopf fällt: „Die PDS. Profil einer antidemokratischen Partei“, herausgegeben von der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU), mal als Gaggeschenk erhalten. Ich blättere. Seite 284: „Die fehlende Internalisierung demokratischer Normen – das, was als sanfte Diktatur des Apparats und des Apparats des Apparates bezeichnet werden kann – belegt, wie die PDS in Wirklichkeit funktioniert.“ Es funktioniert tatsächlich. Ich schlafe ein.

Verschlafen. Verkatert. Viel zu spät. Kollege recherchiert schon: „Ich komme da immer durcheinander: Sind jetzt achtzig Prozent der PDS-Mitglieder über sechzig oder sechzig Prozent über achtzig? Na ja, stimmt wahrscheinlich beides.“ Alle lachen. In meinem Kopf dröhnt es. Es reicht. Ich bin wieder nüchtern.

Frau wie noch mal . . . Frau Klotz. Gott ja, man wird sich ansehen müssen, ob die nicht vielleicht doch ganz vernünftig ist.

Gerade in meinem Personalausweis nachgesehen. Ich kann hier gar nicht wählen. Bin immer noch in Bayern gemeldet. Warum? Hab es noch nicht geschafft. Wollte offenbar nicht. Unterbewusste Angst, im Einwohnermeldeamt müsse man als Neuberliner seine gesamte Habe abgeben – Begrüßungsgeld zur Sanierung der Stadtkasse? Nein. Ich will einfach nicht darauf verzichten, nicht die CSU wählen zu können.

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„Weniger Truppen, aber bessere, und eine einfachere Verwaltung. Reden, Vorträge, Artikel und Resolutionen sollten einfach und klar sein und den Kern der Sache treffen. Man soll auch nicht zu lange Sitzungen abhalten.“(Arbeitsmethoden des Parteikomitees. In: Ausgewählte Werke Mao Tse-Tungs, Band IV)

Fragen zu den Charts?kolumne@taz.de

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