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stasi-abhörprotokolleVERWERTBARE INFORMATIONEN

Irgendwie haben Stasi-Akten eine gewisse Ähnlichkeit mit Grippeviren. Natürlich kann man versuchen, sich rechtzeitig dagegen zu immunisieren. Dies hat die Kohl-Regierung vor zehn Jahren versucht, als sie – unter breiter Zustimmung – Abhörprotokolle über westdeutsche Politiker kurzerhand vernichten ließ. Die gut gemeinte Prophylaxe nützte jedoch nicht viel. Nun hat der Virus den Altkanzler erwischt.

Ob die Akten veröffentlicht werden dürfen, ob der Bundestagsuntersuchungsausschuss sie verwenden darf, ob sie als Belastungsmaterial in einem möglichen Strafprozess dienen können: All dies ist im Grunde gleichgültig. Eher gleicht das Gezerre um die Stasi-Akten der Rechtfertigungsdebatte von gescheiterten Immunologen. Auch die Frage, ob die Namen der Gesprächspartner geschwärzt werden müssten, wie dies bei Stasi-Opfern gängige Praxis ist, ist von nachrangiger Bedeutung. Entscheidend sind die Inhalte der Protokolle. Dem Ausschuss reichen schon die bisherigen Informationen als Befragungsgrundlage, selbst wenn die Originale nicht verwendet werden dürfen. Die Angaben bieten schlicht die Möglichkeit, weitere Akten und Zeugen anzufordern. Etwa den früheren Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, seinen DDR-Kollegen Peter-Michael Diestel oder den damaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Eckart Werthebach – heute Innensenator in Berlin. Sie alle waren 1990 an der Vernichtungsaktion verantwortlich beteiligt. Herangezogen werden können auch die Protokolle über die Vernichtung selbst – vermutlich äußerst aufschlussreiche Dokumente. Ob dazu der politische Wille besteht, ist indes fraglich: Auch über SPD-, FDP- und Grünen-PolitikerInnen werden dabei Aktenzeichen auftauchen. Noch lagern rund 50.000 Abhörprotokolle bei der Gauck-Behörde.

Anders wäre die Situation in einem Strafprozess. Auf der Grundlage von Stasi-Akten – allerdings nicht von Abhörprotokollen – wurden bereits etliche Prozesse geführt. Nur Originale haben dabei ausreichenden Beweiswert. Mit dem Argument, auch diese seien unglaubwürdig, sind Anwälte vor Gericht noch nie durchgedrungen.Warum im Falle Kohl andere Maßstäbe gelten sollten, ist nicht einzusehen. Es ist Aufgabe der Presse, dafür zu sorgen, dass die Protokolle ihren Weg an die Öffentlichkeit finden. Für die politische Hygiene in der Bundesrepublik ist dies notwendig.

OTTO DIEDERICHS

inland SEITE 7

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