starke gefühle: Unsere Autorin führt Selbstgespräche, oft und gern. Denn Self-Talk kann auch Self-Care sein
Ja, ich bin eine Einzelgängerin, aber ich spreche gern, und ich, ähem, höre mich gern reden. Da ist es irgendwie naheliegend, dass ich Selbstgespräche führe. Früher waren sie mir peinlich, vergeblich habe ich versucht, sie einzustellen. Seit Corona bekomme ich sie kaum mehr reguliert, jetzt umarme ich sie. Sie sind eben ein Teil von mir. Ich merke ja ohnehin nicht mehr, dass ich gerade mit mir rede. In der zweiten Person übrigens, meine Form des Selbstgesprächs ist dem Gespräch entlehnt und simuliert ein Gegenüber.
Dabei kann es ganz verschiedene Funktionen haben. Von morgendlichem Pep Talk nach der ersten Tasse Kaffee im Bett („Dann mal los, Susann!“ / „Go!“ / „Aufstehn!“) über alles, was mit Emphase zu tun hat („What??!!“ / „Was für schöne Blumen!“), bis hin zu Merkzettel-Ersatz („Du musst Betsi noch ein schönes neues Jahr wünschen“).
Allerallerallermeistens jedoch schimpfe ich vor mich hin und belege Hinz und Kunz mit den unflätigsten Flüchen. Haten ohne Gegenüber ist neben Boxen ohne Gegner für mich das Tool zur emotionalen Entlastung. Der Vorteil: Ich wüte los, wenn ich es brauche, nicht erst drei Stunden später. Und es ist komplett gewaltfrei, weil es keinen Adressaten hat und milde von meiner Wohnung geschluckt wird. Manchmal kann ich gar keinen Grund ausmachen, außer im weitesten Sinne schlechte Laune oder Stress, und schimpfe dennoch wie ein Rohrspatz („die können mich alle mal am Hobel blasen“).
Habe ich ein Problem, beratschlage ich laut mit mir selbst. Bin ich traurig, spreche ich mir Trost zu. Offenbar wird die eigene Stimme unbewusst ähnlich verarbeitet wie die Stimme einer anderen Person. Das Selbstgespräch knipst irgendwelche Bindungs- und Beruhigungssysteme an und setzt ein bisschen Oxytocin frei.
Mittlerweile habe ich beim Selbstdialog ein Stadium erreicht, das meine Kommunikation mit anderen erschwert. Letztens hatte ich kurz einen Boyfriend, der sich beschwerte, dass ich ihm ständig halbe Sätze auftischte („Das könnten wir ja mal …“, „Das ist aber …“). Rede ich mit mir selbst, reicht der halbe Satz, ich kenne doch den Rest. Seit der Mann mich darauf hingewiesen hat, fällt es mir auch in Gegenwart anderer Leute auf, und ich muss mir dann regelrecht einen Schubs geben, meinen Satz zu beenden. („Das könnten wir ja mal … versuchen.“ „Das ist aber … blöd.“)
Manchmal habe ich Angst, auf der Straße unangenehm aufzufallen, aber die Zeiten sind perfekt für Leute wie mich. Buchstäblich jeder geht heutzutage redend die Straße lang, und da auch die anderen sich kein Handy ans Ohr halten, rutsche ich so durch. Ein wenig kann mich dabei noch regulieren, etwa meine Lautstärke anpassen. Auch meine PIN oder meine Kontonummer habe ich noch nie laut hergesagt. Und wenn ich wen beschimpfe, nenne ich höchstens seinen Vornamen.
Die Sprachnachricht, von mir sehr geliebt, ist das sozial akzeptierte Selbstgespräch unserer Zeit. Man redet so vor sich hin, bewegt sich aber im respektierten Rahmen, weil ja irgendwo irgendwann jemand sich das anhört. In der Regel höre ich mir meine eigenen Sprachnachrichten noch mal an, das ist dann wahrscheinlich ein wenig außerhalb des Rahmens, aber weiß ja keiner.
Das las sich bis jetzt hoffentlich alles ganz fluffig. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass meine Selbstgespräche mir durch wirklich düstere Zeiten geholfen haben. Inzwischen nehme ich eine Tablette gegen diese Düsternis, und dass sie wirkt, merke ich daran, dass es eine neue Rubrik in meinen Selbstgesprächen gibt: Eigenlob und Selbstbeweihräucherung („Suuuper gemacht, Rehlein.“ / „Mann, siehst du süß aus.“). Doch weil eine Tablette noch keinen Sommer macht, füge ich hinzu: „Süß, aber alt.“ Das ist doch wirklich ein … Susann Rehlein
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