spielplätze (12): lecker verliererbier: bis zum ende der EM berichten wir täglich live von den berliner spielplätzen. heute: deutschland - portugal im "eka"
spielplätze (12): deutschland-portugal im eka in prenzlauer berg
Die Steinwand hat ausgedient. Im "Eka" werden die Spiele jetzt auf ein weißes Ikea-Rollo projiziert. Schade - schon allein um das Wortspiel! Sonst hat sich erfreulicherweise wenig verändert in dieser kuscheligen kleinen Bar am Helmholtzplatz, in der ich 2006 ein paar WM-Spiele gesehen habe.
Ach ja, 2006: Die WM im eigenen Land ist immer noch die Referenzgröße, an der einfach alles gemessen wird: das Wetter, die Stimmung, die Form der deutschen Elf - sogar die Leinwand im "Eka". Doch 2006 ist vorbei, das "Sommermärchen" längst Geschichte - da kann die Umlandjugend drüben an der Kulturbrauerei noch so viele Autokorsos veranstalten. Je mehr sie den Mythos beschwören, desto hohler wirkt ihre Freude.
Hohle Freude kann man "Eka"-Wirtin Paula, einer Portugiesin, und ihren Freundinnen nun wirklich nicht vorwerfen. Auch 2008 verwandeln sie den wohnzimmergroßen Raum durch ihre "Portugal, Portugal!"- und "Forza!"-Rufe und all die anderen, die ich nicht verstehe, in einen - Vorsicht Fußballfloskel! - Hexenkessel. Portugiesische Männer sind auch da - aber nicht, wenn man die Augen schließt. Die real anwesenden Männer schweigen, die Frauen schreien für sie mit. Sie machen dabei ordentlich Lärm und wirken überhaupt sehr entschlossen.
Als Bastian Schweinsteiger in der 22. Minute den Ball zum 0:1 ins Tor schiebt, applaudieren auch die Portugiesinnen, bei Miroslav Kloses Kopfballtor 4 Minuten später reagieren sie schon verhaltener. Paula und ihre Freundinnen ahnen, dass das Spiel wohl doch nicht der von allen erwartete Spaziergang werden wird. Die Mienen der deutschen Gäste hellen sich dagegen auf. Da geht noch was!
In der 40. Minute verkürzt Nuno Gomes mit Hilfe der deutschen Defensive zum 1:2. "Nuninho" ruft die Chefin vom Tresen aus, auf dem sie es sich wie schon 2006 bequem gemacht hat, um ihren Gästen keinen Sitzplatz wegzunehmen. "Nuninho" - es klingt wie ein Heiratsantrag.
Mit einer gewissen Genugtuung stecke ich in der Halbzeitpause mal kurz den Kopf zur Tür heraus, zu den Gästen, die vor dem "Eka" im Regen sitzen. Vor einer Stunde haben sie die Sitzplätze auf den gelben Metallstühlen noch erbittert gegen mich verteidigt, jetzt würden sie gerne tauschen: Nichts gibts! Bevors weitergeht, hole ich mir am Tresen noch schnell ein Verliererbier, ein "Sagres". Es schmeckt mir genauso gut wie dieses Spiel.
Und es wird sogar noch besser. Das 1:3 von Michael Ballack in der 61. Minute, schon wieder ein Kopfballtor, lässt die deutschen Gäste schon mal vom Sieg träumen. Auch meine Anspannung wächst - jetzt bloß keine Dummheiten machen! Die Kamera zeigt Luiz Felipe Scolari. Er sieht sehr müde aus in seinem wohl letzten Spiel als portugiesischer Nationaltrainer.
Dann die 87. Minute, das 2:3 für Portugal durch Helder Postiga! Paula und ihre Freundinnen erwachen wieder aus ihrer Schockstarre: "Portugal, Portugal!" Mein Nebenmann springt auf und setzt sich bis zum Abpfiff nicht wieder hin. Der Schiedsrichter lässt endlos lange 4 Minuten nachspielen. Als er dann endlich abpfeift, springen die Deutschen auf, sofern sie nicht ohnehin schon stehen, die Portugiesen sinken in sich zusammen.
Ein Däne, der mit ein paar Freunden, einer davon ist Portugiese, neben mir sitzt, gratuliert mir zum Sieg, als hätte ich eins der drei Tore zumindest vorbereitet. Dabei bin ich nun wirklich nicht in der Form meines Lebens. Seit ich mich im Fitnessstudio angemeldet habe, war ich nicht mehr da.
Vorm "Liebling" nebenan gibt Wirt Bodo Obstler aus, die Straßenecke ist voller Menschen. Zwei beflaggte Autos fahren hupend vorbei. Sie spielen Korso.
Eka, Dunckerstraße 9, alle Spiele auf großer Leinwand.
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