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sommerkrimi

Folge 23

„Wenn ich dich richtig verstehe, dann kann also das Opfer seinem Mörder nicht die Tür geöffnet haben?“

„Wahrscheinlich nicht. Selbst wenn wir davon ausgehen, das der Mörder keine Spuren hinterlassen hat, so müssten doch zumindest die Fingerabdrücke Novitzkis an der inneren Klinke sein.“

„Andererseits“, Larissa Lehmann streicht mit einem gekrümmten Finger mehrmals über ihren Nasenrücken, „wenn jetzt nicht der Mörder, sondern der vermeintliche zweite Eindringling die Balkontür aufgebrochen hat, wie wusste er, dass niemand im Haus war, ohne zu klingeln? Wenn er beim Klingeln irgendeinen Handschutz getragen hat, so wird er den doch wohl kaum absichtlich im Inneren der Wohnung ausziehen, um dort Fingerabdrücke zu hinterlassen, nicht wahr?“

„Das macht alles noch keinen Sinn, Pieter.“

Atze Wendt krickelte mit einem Kuli auf seinem Notizblock herum.

„Ehe ich‘s vergesse, Leute.“ Eckes zeigte auf seine Unterlagen. „Wir haben noch einen zweiten Fingerabdruck gefunden. Er ist auf einem der breiten Knöpfe des Hemdes von diesem Novitzki. Aber beide Abdrücke sind nicht registriert.“

„Also gut. Lassen wir das Rätselraten für‘s Erste. Kommen wir zur Aufgabenverteilung.“

Lund versuchte jetzt die Diskussion zu straffen.

„Moment.“

Wieder hob Eckes fast ermahnend den Finger.

„Da ist noch diese Geschichte mit den angemalten Zähnen. Ich kann mir da jedenfalls keinen Reim drauf machen.“

„Wie meinst du das?“ Lund blickte Eckes verwundert an.

„Es fehlen alle Anzeichen eines Ritualmordes. Nichts am Tathergang wurde zelebriert. Ein Psychopath wiederum unterliegt irgendeinem zwanghaften Muster. Auch in dieser Hinsicht kann unser Computer mit geschwärzten Zähnen absolut nichts anfangen.“

„Möglicherweise ist unserem Mörder etwas ganz Neues eingefallen, Friedbert?“

Larissa Lehmann spielte mit den drei kleinen Ohrringen am oberen Rand ihres linken Ohres.

„Wir werden auch in diesem Punkt erst weiterkommen, wenn wir mehr über diesen Novitzki wissen. Lasst uns jetzt mal das weitere Vorgehen koordinieren.“

Pieter Lund blickte auf seine Notizen.

„Da ist zunächst die Kreditkarte. Darum kümmere ich mich selbst. Larissa, traust du dir das persönliche Umfeld des Opfers zu? Er hat noch einen Vater. Der ist 81 Jahre alt und wohnt in einer Altenwohnung in der Reemtsma-Stiftung in Sülldorf. Seine Mutter ist vor drei Jahren gestorben. Die persönlichen Unterlagen beinhalten Fotos und einen Briefwechsel mit einer Maja Schmiedefeldt. Liegt allerdings schon knapp zwei Jahre zurück. Mehr wissen wir noch nicht.“

„Warum sollte ich mir das nicht zutrauen?“

„In der Regel erledigen wir das ja zu zweit, aber damit können wir uns in diesem Fall nicht aufhalten.“

„Ich mache das nicht zum ersten Mal, Pieter.“

Larissa Lehmann blickte ihn ernst mit ihren großen, braunen Augen an.

Sie sieht eigentlich verdammt gut aus, dachte Lund, so der Typ Annie Lennox, aber die hat diese drei kleinen Ringe nicht am Ohr. Warum geht so jemand ausgerechnet zur Polizei? Er sah sie noch an ihrem ersten Tag den langen Flur herunterkommen, in einer schwarzen Wildlederhose, irgendeine helle Bluse darüber, die Sonnenbrille in der Hand, den Blick prüfend auf die Türschilder gerichtet. Keine vier Jahre war das jetzt her. Hinter ihr kamen die Männer an die offenen Türen ihrer Diensträume, manch einer erging sich in albernen, teils unflätigen Zeichen hinter ihrem Rücken. Aber sie bewies ein erstaunliches Stehvermögen, zog enge Grenzen um ihre Person, übersah und überhörte souverän, was sie nicht sehen und hören wollte. In wenigen Monaten hatte sie auch den größten Rüpeln unter ihren Kollegen den nötigen Respekt abgetrotzt.

Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus

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