so virtuell ist politik: RENTE WAR NUR EINE ENTE
Wer wissen will, warum es im öffentlichen Raum keine sozialpolitischen Debatten mehr gibt mit sachlicher Abwägung des Für und Wider, der braucht sich nur den Rentenstreit vom Wochenende anzuschauen: Eine Schlagzeile über ein Angstthema, ein paar Halbwahrheiten, empörte Reaktionen von Betroffenen und Gegnern, Agenturmeldungen über die Reaktionen, und so weiter und so fort. Herrgott, lass es endlich wieder Montag werden!
Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktionschef, hatte in einem Aufsatz darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber demnächst eine neue „verfassungskonforme Regelung“ zur Besteuerung der Renten verlange werde – was alle Beteiligten wissen. „Diese kann meines Erachtens nur darin bestehen, dass alle Alterseinkommen besteuert werden, so weit sie aus nicht versteuerten Beiträgen angespart worden sind.“
Genau das ist nicht nur die Meinung des Juristen Merz, sondern war schon Vorschlag der Steuerreformer zu Zeiten der Kohl-Regierung und auch Forderung der Grünen, als sie noch in der Opposition agierten. Auch SPD-Abgeordnete hatten vor Jahren schon gefordert, die steuerliche Ungleichbehandlung von Rentnern und Beamtenpensionären zu beenden. Dabei sind viele rentensystematische Fragen jedoch noch ungelöst.
Die Rentenfrage ist komplex. Und genau das macht die politische Debatte so schwierig. Denn in der Rentenfrage mischen sich so stark wie sonst bei kaum einem Thema zwei ungünstige Voraussetzungen: Das Thema ist kompliziert. Aber die Gefühle, die dazu gehören, sind sehr einfach.
Die älteren Leute haben Angst. Eine Angst, die sich politisch und medial ausbeuten lässt. Denn die Furcht vor dem „Rentenbetrug“ sitzt tief, und das schon immer. Die Älteren können ihren Status nicht mehr durch Arbeitskraft sichern, sondern nur noch durch die Wählerstimme. „Steuern auf Renten“ lautet die Schlagzeile vom Wochenende – kein Wunder, dass Merz kurz darauf beteuern musste, dass er die heutigen Renten natürlich nicht höher belasten wolle.
In Zeiten, wo politische Debatten nur noch über den Schlagzeilenabtausch laufen, werden Lösungen in die Zukunft verschoben. Die Betroffenen gewinnen so eine merkwürdige Sicherheit: Real passiert derzeit nichts. Aber was passiert übermorgen? Eine höhere Besteuerung kommt bestimmt. BARBARA DRIBBUSCH
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