schröders wahlkampf: Doppelter Einsatz, dreifaches Risiko
Die Schlacht ist geschlagen, der Pulverdampf verflogen. Schauen wir einen Moment zurück. Was bedeutet die Inszenierung im Bundesrat für die Wahlen?
Seit Freitag reden wir vom Wahlkampf nicht mehr im Futur, sondern im Präsens. Die Union wird bis zum 22. September das Thema Migration und Ausländer forcieren – mal mehr, mal weniger deutlich. Stoiber will als Kanzler das Zuwanderungsgesetz wieder abschaffen, das ist eines seiner zentralen Wahlkampfthemen. Diese Ankündigung ist ein Bruch mit den Gepflogenheiten der Konsensrepublik Deutschland. Und sie lässt Übles ahnen.
Kommentarvon STEFAN REINECKE
Seit Freitag wissen wir auch, was Schröder will: angreifen. Das ist umso überraschender, als man die Talente des Kanzlers eher im Moderieren vermutet, weniger im Zuspitzen. Doch Schröder bleibt angesichts mieser Umfrage- und Wirtschaftszahlen nur die Flucht nach vorn. Das Ziel ist klar: Er will Stoiber in eine Konfrontation treiben, in der der Bayer als Widergänger von Franz Josef Strauß erscheint – und Schröder als solider Mann der Mitte. Rot-Grün will 2002 als eine Reinszenierung des letzten richtigen Lagerwahlkampfs in Deutschland, 1980, erscheinen lassen. Dieses Spiel ist hochriskant. Schröder hat den Einsatz verdoppelt und das Risiko verdreifacht. Denn es gibt drei offenkundige Gefahren:
Erstens: Sollte Karlsruhe vor dem 22. September das Zuwanderungsgesetz kassieren, können die rot-grünen Minister gleich Umzugswagen bestellen.
Zweitens: Faktisch haben SPD und Union am Freitag ein gemeinsames Stück aufgeführt. Weder die Union noch die SPD wollte den Ring als Verlierer verlassen, und beide wollten die große Koalition in Brandenburg retten. Der „Eklat“ war das präzise Resultat dieser Motive. Beide haben taktiert, Moral und Unmoral sind ziemlich gleich verteilt. Doch für die SPD ist die Gefahr des Imageschadens größer. Das Wahlvolk, das nur zum kleineren Teil aus SPD-nahen Verfassungsjuristen besteht, dürfte wohl zu der Ansicht kommen, dass es unfair ist, aus Ja und Nein einfach Ja zu machen. Das mag sogar vergessen lassen, dass Rot-Grün diesen Kompromiss erarbeitet hat und das Malheur auf die Kappe der Union-Fundis geht.
Drittens hat sich Schröder nun von der Reaktion des Gegners abhängig gemacht. Denn für einen Lagerwahlkampf braucht man zwei, die mitspielen. Ob Stoiber Rot-Grün den Gefallen tut, die Akten mal beiseite legt und als bayerischer Haudrauf auftritt? Wohl kaum.
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