schlechtes vorbild: Berlin als Fahrradstadt: Schnellstraßen dauern ganz schön lange
Je selbstverständlicher das Fahrrad Bestandteil des urbanen Verkehrs ist, desto mehr fällt auf, wie wenig bislang auf den Straßen passiert ist. Gerade auf längeren Strecken muss man sich mühsam durch die Stadt hangeln und vor allem mit Blick auf die Autofahrenden ständig neu die eigene Kompromissbereitschaft ausloten: Cool bleiben und Behinderungen wegatmen oder offensiv agieren und Schäden einkalkulieren – seien sie handfester oder eher psychosomatischer Natur?
Da sind die „Radschnellverbidungen“, die das 2018 in Kraft getretene Berliner Mobilitätsgesetz vorschreibt, eine tolle Sache: 100 Kilometer bis 2030, so steht es zumindest im Text, auf denen man nicht deshalb schnell vorankommt, weil man besonders doll in die Pedale tritt, sondern weil es sich um extrabreite, schnörkellose, geschützte Wege mit Vorrang an Kreuzungen und hochwertigem Belag handelt, auf denen sich der Blick mal in die Ferne richten kann und nicht immer am nächsten Hindernis klebt.
In dieser Woche hat die Infra-Velo, eine landeseigene GmbH zur Herstellung von Radinfrastruktur, die letzten Machbarkeitsuntersuchungen für ursprünglich elf geplante Schnellverbindungen präsentiert – neun werden es nun wohl sein. Im Zentrum die fast 40 Kilometer lange „Ost-West-Route“, die im Zentrum durch den Tiergarten und über die „Linden“ führt. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings auf, dass es – bei dieser wie bei den anderen, radialen Routen – lediglich eine „Vorzugstraße“ sowie Alternativrouten gibt.
Vier Jahre nach dem Startpfiff des Mobilitätsgesetzes, das muss man ganz nüchtern konstatieren, ist noch nicht abschließend geklärt, wo die ganzen RadlerInnen später einmal entlangrollen werden. Und hört man die Verantwortlichen der Infra-Velo und der grünen Senatsverwaltung für Mobilität, wird klar, dass die weitere Planung dieser Schnellverbindungen alles andere als schnell sein wird. Die Großprojekte werden ein Planfeststellungsverfahren durchlaufen wie eine Autobahntrasse oder ein Flughafen, es werden die Interessen unzähliger Stakeholder abgewogen, auch Natur- und Denkmalschutz sind zu berücksichtigen.
Planungen im öffentlichen Raum sind in Deutschland eben ein Fass ohne Boden, und so ist es auch kein Wunder, dass die Infrastrukturgesellschaft den Teufel tut und konkrete Termine für Start oder Abschluss nennt. Von zwei, vielleicht auch drei oder vier Jahren bis zur Baureife ist auszugehen, schon weil derzeit noch nicht einmal die planerischen Kapazitäten ausreichen, um alle Projekte parallel voranzutreiben. Dass die Routen bis 2030 fertig werden, ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber auch nicht wirklich wahrscheinlich.
Ist es trotzdem der richtige Weg, langfristig und nachhaltig zu agieren, keine halben Sachen zu machen? Oder wäre es doch zielführender, das mittlerweile von vielen anerkannte Pop-up-Prinzip auf solche Leuchtturmprojekte auszudehnen: schnell und improvisierend Fakten schaffen, beobachten, ob es funktioniert, und dann fertigbauen? Manchmal muss es eben schneller gehen – schon um die Wechselstimmung in Sachen Mobilität aufzufangen und produktiv zu nutzen. Claudius Prößer
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