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schlaglochDie Ethik des Vergleichs

Wie können der Holocaust und der Genozid an Ovaherero und Nama aufeinander bezogen werden? Am besten gar nicht, meint die Bundesregierung

Wie vergleichen – und mit welcher Absicht? Roman Grynberg musste über die Antwort nicht lange nachdenken. Der Wirtschaftsprofessor in Namibia, von Geburt polnisch-jüdisch, verfasste einen wütenden Zeitungsartikel, nachdem er Shark Island besucht hatte, von 1905 bis 1907 ein deutsches KZ für Ovaherero und Nama. Dass an diesem Ort des Genozids Kolonialpioniere geehrt werden, sei etwa so, als ob in Treblinka ein SS-Monument stünde. In Treblinka wurde ein großer Teil seiner Familie ausgelöscht.

Als ich in Namibia über Erinnerung und Trauma recherchierte (mehr in der aktuellen Le Monde diplomatique), verabredeten wir uns. Durch die Fensterscheibe des Windhoeker Cafés sah ich ihn kommen: schwarzes T-Shirt, Khaki-Shorts, spiegelnde Sonnenbrille, Glatze, Ohrringe, eine Silberkette um den Hals und Oberarme, die das Fitnesscenter verrieten. Ein Typ, mit dem sich niemand anlegt, obwohl er 70 ist. Das war gewollt, aber es hatte eine Kehrseite. „Ich sehe aus wie ein Bure. Deshalb laden die Weißen bei mir ihren rassistischen Bullshit ab.“

Grynberg verließ Polen als Kind, wuchs im australischen Melbourne auf, in einer Gemeinde von Holocaust-Überlebenden, von denen er oft hörte: „You have to pay a bill!“, die Rechnung dafür, überlebt zu haben. Grynbergs Kommentar: „Ich bezahle meine Rechnung statt an die Juden lieber an die Menschheit.“ Er kehrte Australien den Rücken, um nicht zum Militär für den Vietnamkrieg eingezogen zu werden, unterrichtete später an diversen Universitäten im globalen Süden, adoptierte sechs Schwarze Kinder. „Ich bin so nicht-rassistisch, wie es einer weißen Person möglich ist.“ Verheiratet ist er mit einer Nama; eine Ehe zwischen den Nachfahren zweier deutscher Genozide.

Mit seiner radikalen, schnoddrigen Empathie ist Grynberg ein exzentrischer Einzelfall, doch lassen sich Fäden spinnen zu anderen Episoden jüdischer Geschichte in Namibia. Nach der Kolonie-Gründung 1884 zog es bald auch jüdische Siedler und Investoren nach Deutsch-Südwest. Emil Rathenau, Vater des späteren Außenministers, gründete die erste koloniale Minengesellschaft. Die Unternehmen der Nachfahren von Harold Pupkewitz, in Litauen geboren, sind noch heute in Namibia vertreten. Als die Kolonie nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg unter die Herrschaft Südafrikas kam, siedelten Juden und Jüdinnen aus Kapstadt dorthin über. Die Blütezeit der Community fiel, so schwer das zu verstehen sein mag, mit der Apartheid-Ära in Namibia zusammen.

In Swakopmund erinnert die „Sam Cohen Library“ an einen bekannten Industriellen und Mäzen. Zugleich sieht man auf dem dortigen Friedhof die Narben des Antisemitismus in der deutsch-burischen Siedlergesellschaft. Juden wurden in einem separaten Sektor bestattet; der Abstand zu den Marmorgräbern der christlichen Kaufmannschaft ist allerdings deutlich geringer als zu jenem Totenfeld, wo Schwarze Opfer von Genozid und Zwangsarbeit verscharrt sind.

Charlotte Wiedemann

ist Autorin in Berlin, viele Jahre mit dem Schwerpunkt Islamische Lebenswelten. Zuletzt erschien: „Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis“ (Propyläen).

Die Schlagloch-Vorschau

29. 1. Ilija Trojanow

5. 2. Gilda Sahebi

12. 2. Georg Diez

19. 2. Robert Misik

Der historischen Komplexität ist nicht zu entrinnen. Joseph Bendix war der älteste Sohn einer angesehenen jüdischen Familie in Dülmen. Als Offizier der Schutztruppe nahm er an Krieg und Genozid teil und fiel in den Kämpfen. Ein Heldentod, so steht es auf einem Dülmener Kriegerdenkmal. Eine Generation später wurden zahlreiche Mitglieder der Familie Bendix im Holocaust ermordet. Andere flohen nach Südafrika und erwarben später Land im Apartheid-Namibia.

Der Faden dieser Erzählung verlängert sich in die Gegenwart: Der Kolonialismusforscher Daniel Bendix, Nachfahre eines zum Christentum konvertierten Zweigs der Dülmener, hat sich der widersprüchlichen familiären Verflechtungen in einer Graphic Novel angenommen. Auf einer Farm lässt er die beiden Genozide aufeinandertreffen: Die Tochter des wohlhabenden weißen Farmbesitzers, der seine jüdische Abstammung verdrängt hat, und der Nama-Farmarbeiter entdecken, was das Leid ihrer Vorfahren verbindet, während sie selbst sich sozial in so krass unterschiedlicher Lage befinden – denn die genozidale Enteignung wurde nie repariert. Erinnern muss Gerechtigkeit bedeuten, so die Schlussfolgerung in Bendix’ „Tracking Trauma. German Genocides at Home and Abroad“, erschienen im Comic-Band „Episodes from a Colonial Present“ und gezeichnet vom namibischen Künstler Hangula Werner. Leh­re­r:in­nen mögen es sich ansehen.

In Dülmen gibt es, neben der Heldentod-Erwähnung, nun auch Stolpersteine für die im Holocaust getöteten Bendix, während der Genozid an Ovaherero und Nama in der Erinnerungskultur ein ungeschriebenes Kapitel bleibt. Gerade protestieren die Opferverbände in Namibia erneut, weil die Bundesregierung sich weigert, mit ihnen auf Augenhöhe zu verhandeln. Vielleicht hätte es geholfen, wenn sich einmal eine hochrangige jüdische Delegation aus Deutschland auf den Weg nach Namibia gemacht hätte, um Ovaherero und Nama mit den Worten „Wir verstehen euren Schmerz“ zur Seite zu stehen.

Vergleiche gelingen dann, wenn sie von einer Haltung der Solidarität mit allen betroffenen Opfern motiviert sind

Jüdische US-Einrichtungen luden die Nama-Sprecherin Sima Luipert ein. „Nama und Ovaherero haben sich immer mit dem jüdischen Volk verbunden gefühlt“, sagt Luipert, doch werde die Sichtweise, den Holocaust für unvergleichbar zu halten, nicht akzeptiert. In Keetmanshoop, einem Ort im Nama-Gebiet, fragt die Leiterin des Regio­nalmuseums, warum die Deutschen sich in ihren Bildungsprogrammen nicht zum Genozid bekennen – „wie sie es gegenüber Juden so gut gemacht haben“.

Die Ethik des Vergleichs ist ein schwieriges Terrain. Doch kann als Richtschnur dienen: Vergleiche gelingen dann, wenn sie von einer Haltung der Solidarität mit allen betroffenen Opfern motiviert sind. Die Unterschiede zwischen Verbrechen, auch zwischen Genoziden, werden dadurch nicht nivelliert.

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