Sport in Russland: Gefeierter Rekordjäger in Kremls Diensten
Eishockey-Heros Alexander Owetschkin verbringt den Sommer in seiner russischen Heimat. Dort wird er für alles, was er tut, bejubelt.
I rgendwas mit Alexander Owetschkin geht immer. Auch mitten im Sommer finden russische Sportmedien ständig einen Anlass, über den Rekordtorschützen der NHL zu berichten. Seit der russische Eishockey-Heros in Diensten der Washington Capitals im April sein 895. Tor in der Liga geschossen hat, platzen die Sportportale seines Heimatlandes schier vor Stolz.
Denn mehr Treffer hat niemand in der NHL erzielt, auch der Kanadier Wayne Gretzky nicht, dessen 894 Tore lange als Rekord für die Ewigkeit angesehen wurden. Beinahe ebenso wichtig wie die Bestmarke ist für die russischen Medien das Bekenntnis Owetschkins zu seinem kriegführenden Heimatland. Als er ankündigte, nach seinem Karriereende in den USA auf jeden Fall nach Russland zurückkehren zu wollen, war der Jubel in den Medien beinahe ebenso groß wie nach dem Torrekord. Über dieses Propagandageschenk wird man sich im Kreml gewiss gefreut haben.
Nun wurde in Russland ein weiterer Owetschkin-Rekord vermeldet. Gut 161 Millionen US-Dollar hat der inzwischen 39-Jährige in der NHL verdient – mehr als jeder andere, mehr auch als der kanadische Superstar Sidney Crosby von den Pittsburgh Penguins, der es in seiner Karriere bislang auf schlanke 156 Millionen Dollar gebracht hat. Ein Jahr wird Owetschkin noch für die Capitals spielen, da kommen dann noch mal 10 Millionen Dollar dazu. Nicht schlecht.
Dann gibt es ja noch diverse Werbeverträge in den USA und in Russland, wo er das Gesicht des russischen Plattformgiganten Yandex werden soll, der neben Streaming für Filme und Serien ähnlich wie Uber hierzulande einen Transportservice und Lebensmittellieferdienst anbietet. 3 Milliarden Rubel soll er dafür nach Schätzungen russischer Wirtschaftsexperten erhalten. 32 Millionen Euro wären das umgerechnet im Moment. Eine – wie kann es anders sein – rekordverdächtige Zahl für den Dreijahresdeal.
Mehr als ein paar Rubel wird Owetschkin auch dafür bekommen, dass er dem russischen Sportwettenanbieter Fonbet sein Gesicht zur Verfügung stellt. Für den hat er gerade ein Werbefilmchen mit dem russischen Schauspieler Sergei Burunow gedreht. Auch darüber wird intensiv berichtet. So hat Owetschkin erzählt, dass er sich von seiner Frau Anastasia Schubskaja auf die Dreharbeiten hat vorbereiten lassen. Die 31-Jährige ist die Tochter der russischen Großschauspielerin und Regisseurin Wera Glagolewa und als solche natürlich bestens als Anleiterin für den Laiendarsteller geeignet.
Auftritt im Foodcourt einer Moskauer Shoppingmall
Es finden sich noch zahllose ähnlich uninteressante Geschichten über Owetschkin in den russischen Sportportalen. Dessen Anwesenheit in Russland während der spiel- und trainingsfreien Zeit in der NHL würden die heimischen Medien gewiss gern noch mehr ausschlachten, als sie es ohnehin schon tun. Doch vor Kurzem meldete der Sportsender match.tv, dass die NHL gerade an einem Film über den Rekordtorschützen auf dem Weg zu seiner Bestmarke arbeite und dieser deshalb keine Exklusivinterviews in russischen Medien geben dürfe. Nur Statements zu Werbepartnerschaften oder auf Pressekonferenzen seien erlaubt.
Kein Wunder also, dass sein Auftritt im Foodcourt einer Moskauer Shoppingmall für eine von Fonbet ins Leben gerufene Wohltätigkeitsorganisation großen Widerhall in der Sportberichterstattung gefunden hat. Fonbet hat eine „Gesellschaft für das Gute“ gegründet, in der Owetschkin eine wichtige Rolle spielen soll. Es geht um die Förderung von Profi- und Behindertensport.
Zum Start des Projekts wurde neben Owetschkin auch Kamila Walijewa auf die Bühne gesetzt. Die Eiskunstläuferin, deren mädchenhafter Eleganz die ganze Welt erlegen war, bis bekannt wurde, dass sie wegen eines positiven Dopingtests bei den Olympischen Winterspielen von Peking 2022 gar nicht an den Start hätte gehen dürfen, ist eine der populärsten Figuren des russischen Sports. Sie wird als unschuldiges Opfer des durchpolitisierten Sports im Westen inszeniert. Die Tageszeitung Kommersant berichtet, dass es beinahe zu Tumulten gekommen ist, als bei der Veranstaltung mit Owetschkin eine Autogrammstunde mit ihr angekündigt worden ist. Und als der auf seinem Telegram-Kanal ein Foto veröffentlicht hat, das ihn mit Walijewa zeigt, ist umgehend die Berichterstattung darüber auf allen Sportportalen angesprungen. Mit Sport hat all das eher wenig zu tun – mit Politik schon eher.
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